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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Webb
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nicht nur die Fotos meiner Mutter, sondern auch die Werke anderer einheimischer Künstler – Schmuck, Töpferwaren, Aquarelle und die eine oder andere Skulptur – verkauft. Es hatte mich schon lange gestört, dass das alles nun brach lag, und in dem Moment, wo ich den Schlüssel im Schloss drehte, beschloss ich, diesbezüglich etwas zu ändern.
    »Ich werde die Galerie im Frühjahr wieder eröffnen«, teilte ich Will an diesem Abend beim Essen mit.
    »Das ist eine großartige Idee!« Er hob lächelnd sein Glas. »Viele haben sich schon gefragt, was in Zukunft aus den Räumen werden soll. Auf ein neues Kapitel ihrer Geschichte!«
    Nur ein paar Tage später war ich bereits wieder in der Galerie, um mich um die zahlreichen Dinge zu kümmern, die vor dem Anbruch der Saison im Frühling erledigt werden mussten. Ich wischte Staub, putzte gründlich und rief die Künstler an, die hier ihre Werke ausstellten und von denen viele den Winter anderswo verbrachten, um sie darüber zu informieren, dass der Laden wieder geöffnet werden würde, bevor die ersten Touristen auf der Insel eintrafen.
    In dem kleinen Hinterzimmer, das meiner Mutter als Atelier gedient hatte, entdeckte ich ein paar Kartons mit der Aufschrift »Mosaikmaterial«. Sie enthielten alte Tonscherben, Kacheln und Stücke antiker Spiegel. Ich griff nach einer größeren Spiegelscherbe und meinte plötzlich, darin ein verschwommenes Gesicht zu sehen, so als habe der Spiegel das Bild seines früheren Besitzers eingefangen, als er vor langer Zeit hineingeblickt hatte.
    Konnte das sein? Spiegelten die Scherben etwa Bilder aus der Vergangenheit wider? Mir fiel wieder ein, was ich am ersten Tag im Haus meiner Mutter gesehen hatte: ihr Gesicht im Spiegel ihres Schlafzimmers. Angesichts der Möglichkeiten, die sich mir hier vielleicht boten, stieg prickelnde Erregung in mir auf.
    Ich begann mit den Scherben zu arbeiten, arrangierte sie auf einem kleinen Tisch, und ehe ich mich versah, war auch schon die Abenddämmerung hereingebrochen, und ich blickte auf ein buntes Mosaik hinab, das ich aus Ton-, Kachel- und Spiegelstücken geschaffen hatte.
    In den darauffolgenden Wochen fertigte ich noch weitere Mosaike an, die mir von Mal zu Mal besser gelangen. Will bewunderte meine Werke, verstand aber nicht, was es mit den Spiegelbildern auf sich hatte. Vielleicht war ich die Einzige, die sie sehen konnte? War das ein Teil meiner speziellen Familiengabe? Ich war mir nicht sicher.
    Und dann begann der Spuk aufs Neue: Als ich eines Abends vor dem Zubettgehen die Lichter ausschaltete, standen plötzlich die drei Mädchen in ihren weißen Kleidern mit den Bändern im Haar vor mir. Sie wirkten harmlos und unschuldig, hatten mit den gespenstischen Erscheinungen, die ich gesehen hatte, keinerlei Ähnlichkeit mehr. Es waren nur noch kleine Kinder.
    »Komm und spiel mit uns, Halcyon!« Persephone streckte mir ihre schmale Hand hin. Ich bemerkte, dass ein identisches leises Lächeln über die Gesichter der Drillinge huschte, bevor sie mich erwartungsvoll ansahen.
    Ich faltete eine Decke zusammen und legte sie auf das Sofa. »Die Zeit zum Spielen ist vorbei, Mädchen«, sagte ich zu ihnen.
    »Du spielst überhaupt nicht mehr mit uns!«, schmollte Penelope. Die beiden anderen machten schmale Augen.
    Die Willenskraft, die in ihren Blicken lag, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Doch mit nur leicht brüchiger Stimme erwiderte ich: »Weil es für euch langsam Zeit wird, nach Hause zu gehen.«
    »Wer sagt das?« Patience schob trotzig das Kinn vor.
    Ich stemmte die Hände in die Hüften und hielt ihrem Blick unverwandt stand. »Ich sage das! Für euch wird es Zeit, nach Hause zu gehen.«
    Daraufhin lächelten die Mädchen ein gruseliges, eiskaltes Lächeln. »Aber wir sind doch zu Hause«, grinste Patience, dann lösten sich die drei wie Rauchschwaden in der Luft auf.
    Und dann spürte ich es: Unsichtbare Finger pieksten und kniffen mich in Gesicht, Arme und Beine und zogen an meinem Haar. Drei Händepaare pressten sich gegen mein Kreuz und stießen mich nach vorne, bis ich stolperte und auf die Knie fiel.
    »Aufhören!«, brüllte ich in den leeren Raum und schlug die Hände vor das Gesicht. Und tatsächlich ließen sie im nächsten Augenblick von mir ab. Die Luft im Zimmer schien klarer und frischer zu riechen, so wie es oft nach einem Frühlingsregen der Fall ist. Ich stand auf. Waren sie fort, auf so einfache Weise vertrieben worden? Ich holte tief Atem und schloss in dem Glauben,

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