Insel der Traumpfade Roman
Prozess mit ein paar Kindern, und die anderen waren damit beschäftigt, drei Krieger niederzustechen, die ihre Speere trotzig erhoben hatten.
Edward jagte hinter zwei Jungen her und metzelte sie mit einem Säbelstreich nieder. Die Klinge war voller Blut, seine Uniform besudelt, und die Flanken seines Pferdes klebten. Aber er war noch nicht fertig – seine Gier war noch nicht befriedigt – und suchte ein weiteres Opfer.
Ein Mädchen auf der anderen Seite der Lichtung hatte die Bäume fast erreicht – doch es kam nur langsam voran, denn es hatte bereits Bekanntschaft mit einem Säbel gemacht. An seiner Schulter klaffte das blutige schwarze Fleisch auseinander wie ein obszöner rosa Mund.
Er trat dem Pferd in die Flanken, galoppierte auf das Mädchen zu und hob den Säbel. »Sie gehört mir, Willy«, brüllte er, denn sein Freund hatte es ebenfalls erspäht.
Die Verfolgte schaute mit weit aufgerissenen Augen über die Schulter.
Edward überholte sie und verstellte ihr den Fluchtweg.
Das Mädchen erstarrte.
Edward enthauptete es mit einem Streich. Dann galoppierte er zurück auf die Lichtung, um zu sehen, was die anderen ihm übrig gelassen hatten.
Lowitja versteckte sich in den schützenden Ästen des Baumes, hoch über dem Waldboden. Sie umklammerte Mandawuy und hielt ihn durch Stillen ruhig, während das Blutbad auf der Lichtung tobte. Sie hörte jemanden unter sich vorbeilaufen, Gewehrschüsse, die entsetzlichen Schreie der Sterbenden – und vergoss stille Tränen, als sie brennendes Fleisch roch. Sie konnte sich das Grauen nur vorstellen, das ihrem Volk widerfuhr, konnte nur zum Großen Geist beten, dass wenigstens einige diesen Tag überlebten.
Doch die Stille, die dann eintrat, war noch furchteinflößender. Sie lag schwer in der Luft, beladen mit einer Dunkelheit, die Lowitja endlos erschien. Sie wartete noch lange. Ihr Körper zitterte unter der Anstrengung, Mandawuy in den Armen zu halten und sicher auf dem hohen Ast auszuharren. Sie wagte nicht einzuschlafen.
Die Sonne warf ein dünnes bleiches Licht über den Horizont, als Lowitja mit ihrer kostbaren Last den Baum hinunterkletterte. Sie nahm Mandawuys kleine Hand in die ihre und näherte sich vorsichtig der Lichtung, bereit zu fliehen. Sie fürchtete sich vor dem Anblick, dem sie sich stellen musste. Doch die Geister der Ahnen riefen sie und führten sie zu den Schlachtfeldern, so dass sie mit eigenen Augen sah, was der weiße Mann angerichtet hatte, und dieses Wissen weitergeben konnte.
Sie stand am Rande der Lichtung, noch nicht mutig genug, diesen Ort des Todes zu betreten. Das Lager war ruhig und still – und in dieser Stille vernahm sie das Flüstern längst verstorbener Krieger, die gekommen waren, die Völker der Eora und Turrbal zu holen und in die Geistwelt mitzunehmen. Rauchfahnen stiegen in der windstillen Morgendämmerung auf und schwebten in ruhelosen, gespenstischen Schwaden über zerschmetterten Kochtöpfen, zerstückelten Leibern und zerbrochenen Speeren.
Schaudernd stand Lowitja neben ihrem Enkel. Niemand war verschont worden – nicht einmal das kleinste Kind. Sie hörte die Fliegen summen, die in dunklen Wolken über den Leibern hingen, die in den Erdboden gestampft waren. Sie waren bereits von den aasfressenden Krähen und Dingos gezeichnet, die in der Nacht umdas frische Fleisch gekämpft hatten. Bald würden der Goanna mit seinen scharfen Echsenzähnen und Klauen sowie Insekten und Maden kommen, um die Reste zu vertilgen.
Lowitja betrachtete den Ort des Todes und wusste, dass niemand überlebt hatte. Es war in Erfüllung gegangen, was ihr die Geistträume und die geworfenen Steine prophezeit hatten. Sie würde nie wieder an diesen Ort zurückkehren, sondern gen Westen zum Uluru gehen. Es war eine lange, gefährliche Strecke für eine einzelne Frau – sie würde den Rest ihres Lebens darauf verwenden, sie zu vollenden –, doch der Uluru war ihre geistige Heimat, und sie würde lieber sterben bei dem Versuch, dorthin zu gelangen, als hier unter den weißen Wilden zu bleiben.
Sie nahm ihren Enkel auf den Arm und gab ihm einen Kuss. Er war der Letzte der reinrassigen Eora – das letzte Bindeglied zwischen ihr, Anabarru und dem großen Ahnen Garnday. Er musste gut behütet werden.
Erster Teil
L aunen des M eeres
Eins
An Bord der Atlantica, Juli 1797
G eorge Collinson stand auf der Steuerbordseite an Deck des stampfenden Schiffes, das Teleskop am Auge, und suchte die gewaltige Dünung des Südlichen Ozeans ab. Es
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