Insel meiner Sehnsucht Roman
Aber ein Gentleman erregte ihre ganz besondere Aufmerksamkeit, trotz seiner kleinen Statur und der mürrischen Miene. Er wurde ihr als Spencer Perceval präsentiert, der britische Premierminister. Unwillkürlich erstarrte sie, während er sich über ihre Hand beugte. Zum Glück ließ er sie sofort wieder los und begann, übertrieben artikuliert zu sprechen. Anscheinend setzte er »ausländisch« mit » begriffsstutzig« gleich.
»Ich hoffe, Sie werden Ihren Aufenthalt in unserem Land genießen, Hoheit.«
»Danke, Sir, da bin ich mir ganz sicher. In England findet man eine überaus reizvolle Mischung aus scheinbaren Konflikten und Widersprüchen, meinen Sie nicht auch?«
Verblüfft runzelte er die Stirn und suchte nach Worten. »Eh – ich…«
»Nun, immerhin hat Ihre Kultur den außergewöhnlichen Roman ›Verstand und Gefühl‹ und Lord Byrons – hm – aufwühlendes Werk innerhalb weniger Monate hervorgebracht. Und so kann man wohl kaum behaupten, England würde sich selbst verherrlichen und der Wahnvorstellung unterliegen, es wäre ein grandioses Empire, oder?«
»Gewiss nicht …«
»Entschuldigen Sie uns, Sir«, unterbrach Alex den Premierminister. »Sicher werden Sie verstehen, dass noch sehr viele Gäste meine Schwester kennen lernen möchten.« Als er sie zu einer Gruppe führte, die ihr erwartungsvoll entgegenschaute, murmelte er: »Bitte, versuch zu bedenken, dass wir keinen Krieg zwischen Akora und England anzetteln wollen.«
Gleichmütig zuckte sie die Achseln. Nachdem sie den unsympathischen Perceval mundtot gemacht hatte, fühlte sie sich viel besser. »Hast du letztes Jahr nicht den Verdacht gehegt, der Premierminister würde die Invasion von Akora planen?«
Alex warf ihr einen scharfen Blick zu. »Darüber dürftest du gar nichts wissen.«
»Um Himmels willen …«
»Schon gut. Ja, diesen Verdacht hatte ich. Aber Prinny fuhr Perceval energisch in die Parade, also müssen wir uns deshalb nicht mehr sorgen.«
Darauf antwortete Kassandra nicht. Was dieses Thema betraf, hatte sie sich eine eigene Meinung gebildet, die sie ihrem Bruder vorerst nicht mitteilen würde.
Wie vielen Leuten sie vorgestellt wurde, entsann sie sich später nicht. Bald pochte es schmerzhaft in ihren Schläfen, aber sie lächelte tapfer. Als der Gong ertönte, der das Dinner ankündigte, seufzte sie erleichtert.
Da der Prinzregent für diesen Abend verhältnismäßig wenige Gäste eingeladen hatte und die Nachtluft kühl war, ließ er das Essen nicht im Garten, sondern im runden Speisezimmer servieren. In diesem Raum dominierten Spiegelwände und silberne Dekorationen, die einander reflektierten. Dadurch entstand ein seltsamer Schimmer, der Kassandra den Eindruck vermittelte, sie würde im Gehäuse eines Nautilus sitzen. Joanna hatte sie vor der üppigen Mahlzeit gewarnt, und dafür war sie ihr dankbar. Schon vor dem Ende des Menüs hörte sie auf, die verschiedenen Gänge zu zählen. Sie nahm nur wenige Bissen zu sich, denn sie fand die Saucen zu schwer, und die bis zur Unkenntlichkeit zerkleinerten Speisen missfielen ihr. Zudem waren sie so stark gewürzt, dass sie die einzelnen Zutaten nicht definieren konnte. Weil sie einen klaren Kopf behalten wollte, nippte sie nur selten an ihrem Weinkelch.
Zu ihrer Rechten saß Royce, zur Linken Alex, und so wurde sie wirksam gegen neugierige Leute abgeschirmt, die gern mit ihr geplaudert hätten. Royce war ein angenehmer Gesprächspartner. Zunächst fragte er nach ihren Plänen für den Aufenthalt in England, dann bat er sie, von Akora zu erzählen. Das widerstrebte ihr wegen seiner leidvollen Gefangenschaft im Inselreich. Doch er half ihr sofort aus der Verlegenheit und beteuerte, deshalb müsse sie sich keine Gedanken machen. Und so berichtete sie von ihrer Heimat, beschrieb das Morgenlicht auf dem Binnenmeer, den Duft der Zitronenbäume, die Straße, die zwischen farbenfrohen Blumen vom Ilius-Hafen zum Palast hinaufführte, der seit über dreitausend Jahren zum Himmel emporragte.
Während sie sprach, verengte sich ihre Kehle. So lange hatte sie davon geträumt, Akora zu verlassen, und jetzt staunte sie über ihr heftiges Heimweh. Sie war froh, als der Prinzregent die Tafel aufhob.
Nun gingen sie zu einem geräumigen, in Rosa und Gold gehaltenen Salon, der die Illusion einer kitschigen, kurzlebigen Blüte hervorrief. An der Tür wartete der Majordomus des Prinzregenten, ein kleiner, sichtlich nervöser Mann. Nach einer ruckartigen Verbeugung führte er die beiden Paare
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