Insel meiner Sehnsucht Roman
Nichte Brianna, die sie begleitet hat. Elena meint, meine Schwangerschaft würde völlig normal verlaufen und wir müssten bei der Geburt keine Komplikationen befürchten.«
»Trotzdem sorgt sich Alex. Und du bist auch beunruhigt.«
Joanna berührte ihren Bauch. »Jetzt bewegt sich das Baby. Ich spüre seine …« Lächelnd schaute sie Kassandra an. »… oder ihre lebhafte Kraft. So kurz davor, die Welt kennen zu lernen – und dann im Nichts zu versinken …«
Besänftigend legte Kassandra eine Hand auf die Finger ihrer Schwägerin. Gewiss, sie hatte etwas gesehen, als Joanna und Alex mit der frohen Kunde ins Inselreich gekommen waren, sie würden ein Kind erwarten. Sie hatte den Tempel unterhalb des Palastes aufgesucht, um zu beten und zu meditieren. Dort hatten sich ihrer Vision die Wege einer möglichen Zukunft eröffnet, so wie ihrer Namensvetterin vor langer Zeit im unglückseligen, dem Untergang geweihten Troja. Niemals ahnte sie voraus, was sie erblicken würde, Gutes oder Schlechtes, Grauen oder Glück. Die Bilder, die sich zeigten, jagten ihr immer wieder Angst ein.
Aber an jenem Tag waren sie erfreulich gewesen. Allzu viel nahm sie nicht wahr – das Gelächter eines Kindes, ein flüchtiges Lächeln, Joannas Stimme, halb liebevoll, halb ärgerlich. »Melly!« rief sie. Sonst nichts, nur diese eine Szene und goldene Wärme, die Kassandras Herz erfüllte. Viel angenehmer als die meisten ihrer Visionen – und es genügte ihr vollauf … Gleich danach hatte sie ein Geburtsgeschenk ausgewählt.
Und jetzt, während Joannas Hand und ihre eigene auf dem gewölbten Bauch lagen, in unmittelbarer Nähe des Babys, schwanden die letzten Reste des Zweifels. Sie wusste es ganz einfach. Mochten die Sorgen der Schwägerin auch begreiflich sein, sie waren grundlos.
»Du bist nicht deine Mutter«, sagte sie leise. »Und die Tragödie ihres ersten Babys, das sie verloren hat, wird sich nicht wiederholen.«
Erleichtert schluckte Joanna ihre Tränen hinunter. »Danke, Kassandra – herzlichen Dank.« Mit bebenden Lippen lachte sie. »Oh Gott, erst jetzt erkenne ich, welch eine Last diese Furcht gewesen ist, bis du mich davon erlöst hast.«
Kassandras so genannte Gabe, die ihr viel zu oft wie ein Fluch erschien, schenkte ihr nur selten solche Momente ungetrübten Glücks. Lächelnd umarmte sie ihre Seelenverwandte. Eine Zeit lang plauderten die beiden Frauen noch, tranken Tee und aßen Brötchen, dann stand Joanna auf, um sich anzuziehen.
»Nun haben wir die Männer lange genug allein gelassen«, entschied sie.
Gemeinsam stiegen sie die Treppe hinab und betraten den kleinen Salon, wo sie weder Alex noch Royce antrafen.
Die beiden waren in den Stall gegangen. Das erfuhren die Frauen von einem Lakaien, und sie folgten ihnen.
Royce, Alex und ein kleiner Mann mit zottigem Haar und buschigen, eng zusammengezogenen schwarzen Brauen führten gerade ein angeregtes Gespräch.
»Guten Morgen, Bolkum«, grüßte Joanna. »Was für ein schöner Tag!« Lächelnd wandte sie sich zu ihrem Ehemann und ihrem Bruder. »Wollt ihr ausreiten?«
Bolkum räusperte sich und schaute weg.
»Jetzt nicht«, erwiderte Alex und warf seinem Schwager einen kurzen Blick zu.
»Wir haben uns nur mit Bolkum unterhalten«, erklärte Royce.
»Worüber?«
Diese Frage stellte Joanna in so heiterer Unschuld, dass ihr die zwei Männer – zumindest nach Kassandras Meinung – die Antwort nicht vorenthalten durften. Trotzdem versuchten sie es.
»Eigentlich über nichts Besonderes«, erwiderte Alex.
»Über das Wetter«, fügte Royce hinzu. »Heute ist es wärmer, als wir erwartet haben.«
Lässig zuckte Joanna die Achseln. »Dann frage ich eben Mrs. Mulridge, worum es wirklich geht. Das wird sie sicher wissen.«
Bolkum strich über seinen Bart. »Am besten kümmere ich mich um – eh – was wir soeben besprochen haben.« Er nickte den Frauen ehrerbietig zu und verschwand im Hintergrund des Stalls.
Immer noch lächelnd, wartete Joanna, und Kassandra begegnete Royces Blick. Einige Sekunden verstrichen. Irgendwo in der Ferne rief ein Stallbursche einem anderen etwas zu.
»Um Gottes willen«, murmelte Alex. »Wahrscheinlich ist jeder Versuch sinnlos, dir irgendwas zu verheimlichen,
selbst wenn es zu deinem Wohl geschehen würde.«
»Völlig sinnlos«, bestätigte Joanna.
»Wie du weißt, habe ich dich gebeten, London zu verlassen. Du könntest unseren Landsitz in Boswick aufsuchen, der dir laut eigener Aussage gefällt, oder Hawkforte, falls du
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