Insel meiner Sehnsucht Roman
werden Zelte für die Männer aufgeschlagen. Bolkum kümmert sich darum. Tag und Nacht werden sie um das Haus patrouillieren. Und du wirst es nicht ohne Eskorte verlassen – was auch für Kassandra gilt. Ist das klar?«
»Erwartest du wirklich, die Ludditen werden uns bedrohen?«, fragte Joanna.
»Müsste ich damit rechnen, würde die Entscheidung, ob du abreist oder hier bleibst, nicht bei dir liegen. Aber wenn ich auch annehme, die Ludditen sind anderswo beschäftigt, möchte ich auf alles vorbereitet sein. Versprecht ihr mir, niemals allein auszugehen?«
Das versicherten ihm beide Frauen. Wahrscheinlich hätte Kassandra jede Bedingung erfüllt, um London nicht verlassen zu müssen. Welch eine Ironie … Auf Akora, wo angeblich die Krieger herrschten, während die Frauen nur dienten, durfte sie sich frei bewegen. Und hier, im vermeintlich fortschrittlichen England, konnte sie sich nur im Schutz bewaffneter Männer vor die Tür wagen. Offensichtlich war der Fortschritt ein zweischneidiges Schwert.
»Da wir gerade vom Ausgehen reden …«, begann Joanna und zog ein Kuvert aus der Tasche ihres Rocks. »Lady Melbourne hat keine Zeit verschwendet.«
Stöhnend verdrehten ihr Mann und Royce die Augen.
»Sicher verstehst du, dass ich in dieser schwierigen Situation beschäftigt bin«, erwiderte Alex.
» Sehr beschäftigt«, fügte Royce hinzu. »Genauso wie ich. Allein schon der Gedanke, eine Party zu besuchen, wo es so viel zu tun gibt …«
»Trotzdem müsst ihr hingehen«, fiel Joanna ihm ins Wort. »Wie ihr zweifellos wisst, werden die wichtigsten Dinge stets in den Salons diskutiert.«
Obwohl Alex die Stirn runzelte, widersprach er nicht. »In deinem Zustand solltest du Lady Melbournes Gesellschaft meiden. Wer weiß, was sie unserem ungeborenen Kind antun würde …«
»Auf keinen Fall schicke ich Kassandra allein in die Höhle der Löwin.« Hoffnungsvoll fuhr Joanna fort: »Aber vielleicht findet die Party heute Abend oder morgen statt. Dann hätten wir einen guten Grund, die Einladung abzulehnen.«
»Wieso?«, fragte Kassandra.
»Das ist ein bisschen kompliziert. Am besten reden wir beim Frühstück darüber.«
Obwohl die Männer behauptet hatten, sie seien vollauf beschäftigt, stimmten sie bereitwillig zu. Um das schöne Wetter zu genießen, setzten sie sich auf die steinerne Terrasse, an die der Garten grenzte. Mrs. Mulridge servierte ihnen Tee und Gebäck, Muffins mit Zimt, knusprigen Speck, pochierte Eier in kleinen blauweißen Porzellanschüsseln und Erdbeeren aus dem Treibhaus. Während sie aßen und sich unterhielten, stieg die Sonne höher empor, und die Luft erwärmte sich.
»Weißt du, dass es in England zwei politische Parteien gibt?«, fragte Alex seine Schwester.
»Natürlich – die liberalen Whigs und die konservativen Torys. Die Whigs streben Friedensverhandlungen mit Napoleon an. Und die Torys wollen den Krieg fortsetzen und England zu einem triumphalen Sieg verhelfen.«
Royce, der seinen Blick nicht von ihr losreißen konnte, hob erstaunt die Brauen. »Wie gut Sie über die britische Politik informiert sind, Kassandra! Das hätte ich nicht gedacht …« Zu spät erinnerte er sich an seinen Entschluss, niemals anzunehmen, sie würde sich so verhalten, wie man es erwartete.
In ihren dunkelbraunen, von dichten Wimpern umrahmten Augen las er grenzenlose weibliche Geduld mit der englischen Ignoranz. Was für ungewöhnliche Augen – die Fenster ihrer Seele, die immer deutlicher ihre Belustigung zeigten, während er sie wie ein Grünschnabel anstarrte …
Alex räusperte sich. »Darüber musst du dich nicht wundern, Royce. Meine Schwester liest sehr gern. Jedes Mal, wenn ich von England nach Akora zurückkehrte, brachte ich ihr Bücher und Zeitschriften mit, die politische Artikel enthielten. Am Anfang dieses Jahres erlebten die Whigs eine bittere Enttäuschung, als der Prinzregent, den sie stets für ihren Freund hielten, die Torys unterstützte, so dass sie ihre Macht behaupten konnten.«
»Deshalb ist die Gesellschaft jetzt in zwei Lager gespalten«, erklärte Joanna. »Die Torys drängen sich um den Prinzregenten. Und seine einstigen Whig-Freunde meiden ihn wie die Pest. Das ist unerträglich, so darf es nicht weitergehen. Zu viele Leute versäumen zu viele Feste. Dazu wollen wir nicht gehören. Und deshalb werden wir morgen Prinnys Dinnerparty besuchen.«
Alex hob die Schultern. »Also gut, wenn es unbedingt sein muss …«
»Auf keinen Fall dürfen Sie sich in Whig-Kreisen
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