Insel meiner Sehnsucht Roman
sich in der Londoner Gesellschaft normalerweise rar machte – den Spross einer altehrwürdigen Familie, dem der Prinzregent rückhaltloses Vertrauen schenkte – den Streiter für England, den die Aura längst vergangener und künftiger Schlachten zu umgeben schien?
Was suchte er im Melbourne House?
Wenn sie das wüssten, dachte er und war dankbar für die Ahnungslosigkeit der Leute. Es würde ihn bloßstellen, ihnen zu verraten, mit welcher Frage ihn die raffinierte Lady Melbourne zu ihrer Party gelockt hatte.
»Würde es den Earl of Hawkforte interessieren, wer letztes Jahr einen Gentleman aus Akora in Brighton getroffen hat?«
Er fand die Gastgeberin im größten Empfangsraum, wo sie Hof hielt, wie an jenem Abend vor mehreren Wochen, als er Kassandra, Joanna und Alex hierher begleitet hatte. Und so wie damals leistete ihr Lord Byron Gesellschaft. Der Poet des Jahrhunderts plauderte gerade mit Lady Melbournes Nichte, Annabella Milbanke, verstummte aber, sobald sich Royce näherte.
»Ah, Lord Hawkforte, welch eine Freude! Natürlich habe ich von Ihrer Rückkehr aus Akora erfahren, und ich nehme an, ganz England hat davon gehört – so berühmt sind Sie mittlerweile geworden. Aber bisher haben Sie keine einzige Einladung angenommen, nicht einmal meine .« Byron hob die Schultern, was zweifellos Verblüffung über einen so ungeheuerlichen Affront ausdrücken sollte.
»Leider habe ich wenig Zeit für gesellschaftliche Ereignisse«, antwortete Royce zwischen zusammengebissenen Zähnen. Mit einer knappen Verbeugung wandte er sich zu Lady Melbourne. »Madame, ich musste Sie aufsuchen, weil Sie mir keine Wahl ließen. Hoffentlich wird sich meine Mühe lohnen.«
Sie lächelte – überaus liebenswürdig, was man ihr zugestehen musste. Und es war auch nicht verwunderlich, denn sie hatte reichliche Erfahrungen in der Kunst gesammelt, Männer zu manipulieren. »Oh, Ihre Mühe hat sich bereits gelohnt, zumindest für mich, denn Ihre Gegenwart wird den Erfolg dieses Abends sichern.«
»Schämen Sie sich, Madame, wenn Sie glauben, ich würde auf Schmeicheleien hereinfallen. Wie wir beide wissen, ist jeder Abend im Melbourne House ein voller Erfolg, was einzig und allein an Ihrer Anwesenheit liegt. Mehr braucht es nun wirklich nicht.«
Ein Ausdruck milden Staunens in ihren Augen belohnte ihn und verschwand sofort wieder, verschaffte ihm aber trotzdem eine gewisse Genugtuung. »Oh, Lord Hawkforte
- ich hatte keine Ahnung, wie charmant Sie sein können … Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir. Wie ich höre, sind Sie neulich aus Akora zurückgekehrt. Würden Sie unsere brennende Neugier auf dieses mysteriöse Land befriedigen?«
»Weigern Sie sich nicht, Sir!«, flehte Byron, während sich immer mehr Gäste herandrängten. »Ignoranz ist der Fluch jeder Existenz, meinen Sie nicht auch? Ein so faszinierendes Land zu besuchen und die gewonnen Erkenntnisse nicht mit anderen zu teilen wäre…«
Der Poet schwatzte weiter. Aber Royce beachtete ihn nicht mehr. Er hatte beabsichtigt, der Spinne unmissverständlich klar zu machen, seine Geduld sei begrenzt.
Und nun hatte Byron ein Wort benutzt, das unweigerlich Royces Interesse fesselte – Ignoranz.
Würde es der Ignoranz nicht abhelfen, wenn Atreus nach England reiste? Vielleicht wäre es ein kluger Schachzug, dem Erwählten den Weg zu ebnen.
Royce musterte die Männer ringsum – ausnahmslos Whigs, denen die Launen des Prinzregenten hohe Ämter verwehrten, obwohl sie sich seit Jahren um seine Gunst bemühten. Doch dies bedeutete keineswegs, dass sie machtlos waren, ganz im Gegenteil. Zum Beispiel besaßen sie einen Großteil des Vermögens von Großbritannien. Auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens übten sie ihren Einfluss aus, vor allem auf das Militär. Sogar ranghohe Offiziere zeigten sich dankbar für das Wohlwollen reicher Förderer.
»Akora«, begann Royce mit erhobener Stimme, »ist eine Festung. Und das gilt nicht nur für den geographischen Aspekt, was wir bereits wissen, sondern für alle anderen Belange. Praktisch jeder Akoraner ist ein Krieger, großartig ausgebildet, hervorragend diszipliniert, immer bereit, seine Heimat mit aller Macht zu verteidigen. Aber damit ist die martialische Natur dieses Volkes noch nicht erschöpft. Auch die Frauen werden militärisch ausgebildet. Nach allem, was ich beobachten konnte, sind sie sehr tüchtig.«
»Tatsächlich – Frauen?«, rief Lady Melbourne. »Eigentlich dachte ich, die Akoranerinnen müssten dienen .« Was
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