Insel meiner Sehnsucht Roman
und eifrig die Fäden gesponnen hatte, so wie seit vielen Jahren.
Außerdem gab es nur wenige Engländer, die einen Angriff auf Akora planen könnten. Einer davon, der Premierminister Perceval, war tot. Unter anderen Umständen würde auch Royce dank seiner intimen Kenntnisse über das Inselreich, seines Reichtums und seines beträchtlichen Einflusses zu diesem Kreis zählen. Aber er liebte Akora. Und Grey, oh ja, Grey – brillant, ungeduldig, mit wichtigen Whig-Kontakten – von Ehrgeiz und unerträglichen Enttäuschungen getrieben … Würde er zu brutalen Mitteln greifen, wenn sie seinem Zweck dienten?
Verdammt, dachte Royce, das hätte ich wissen müssen. Im Nachhinein ist man immer schlauer.
»Wir alle kennen die stolze Geschichte von Hawkforte«, bemerkte Grey lächelnd. »›Der Schild des Thrones.‹ So wurde die Festung im Mittelalter genannt, nicht wahr?«
»Diesen Schild halte ich noch immer hoch, Sir, einen Schild gegen Gefahren, Verrat und – falls es nötig ist – gegen die Anmaßung ambitionierter Männer.« In diesem Moment wusste Royce, dass der Plan, den er in zehn langen Tagen und Nächten geschmiedet hatte, zum Erfolg führen würde. Er beugte sich vor und fügte leise hinzu, nur für Greys Ohren bestimmt: »Treffen wir uns im Morgengrauen auf dem Wimbledown Common, Sir. Nicht um diesen Narren das erhoffte Spektakel zu bieten, sondern weil ich Ihnen einiges mitzuteilen habe.«
Grey trat einen Schritt zurück und schaute ihn prüfend an. Dann runzelte er die Stirn und nickte wortlos.
Obwohl die Vereinbarung diskret getroffen wurde und geheim bleiben sollte, verbreitete sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer, denn Royce hatte offenbar nicht leise genug gesprochen. Zwischen Hawkforte und Grey sei ein Streit entbrannt, tuschelte man, und Grey habe Hawkforte zum Duell gefordert… Oder war es umgekehrt gewesen? Die Angelegenheit schien sich zu klären, als eine junge Magd in Greys Küche dem Metzgerburschen erzählte, ein Stubenmädchen habe den Butler behaupten hören, der Kammerdiener Seiner Lordschaft sei beauftragt worden, am nächsten Tag die Kleidung Seiner Lordschaft besonders gewissenhaft zu bügeln. Natürlich legte das die Vermutung nahe, dass Lord Grey – sollte er verwundet werden oder ein noch schlimmeres Schicksal erleiden – seine Eleganz wahren wollte. Bald wurde der Klatsch von einem Haus zum anderen getragen, über Gartenzäune und Hinterhöfe hinweg.
Würdevolle Butler, Kammerdiener und Zofen wisperten die Geschichte in die Ohren ihrer Herrschaften, was an diesem milden Sommerabend zu reizvollen Spekulationen führte.
Von alldem merkte Royce nichts. Kurz nachdem er die gewünschte Information erhalten hatte, verließ er das Melbourne House. Den restlichen Abend verbachte er mit der Lektüre mehrerer Dokumente, dann ging er ins Bett, wo er zur Abwechslung einigermaßen gut schlief, wenn auch nur für ein paar Stunden.
Bolkum weckte ihn eine Stunde vor Tagesanbruch. Während Royce badete und sich rasierte, dachte er flüchtig an das Vergnügen einer warmen Dusche. Auf seine Kleidung achtete er kaum, aber sogar Mrs. Muldridge nickte zufrieden, als er in hellbrauner Hose, einem feinen Leinenhemd, einem dunkelbraunen Gehrock aus leichter Wolle und blank geputzten Stiefeln die Treppe zur Halle hinabstieg. Sein Haar hatte er nicht schneiden lassen, obwohl er von Bolkum dazu ermahnt worden war, und so berührte es den Kragen seines Gehrocks. Im schwachen Morgenlicht schimmerte es wie gehämmertes Gold.
»Zum Frühstück sind Sie wieder da, Mylord«, befahl Mrs. Mulridge.
Grinsend nickte er, leichteren Herzens als in all den Wochen zuvor. »Übrigens, ich würde mich über pochierte Eier freuen.«
»Gut, das werde ich der Köchin sagen. Und jetzt fort mit Ihnen!«
Bevor er zur Haustür ging, nahm sie ihn in die Arme. »Passen Sie bloß auf sich auf!«
»Sie sorgt sich«, verkündete Bolkum, der ihn zum Stall begleitete. Dort wartete ein gesatteltes Pferd. »Dazu hat sie auch allen Grund. Warum haben Sie den Wimbledown Common ausgesucht, falls ich mir die Frage erlauben darf? Er hat einen miserablen Ruf.«
»Genau deshalb habe ich ihn gewählt. Abgeschieden, weit entfernt von neugierigen Blicken.« Er stieg auf und nahm die Holzkassette entgegen, die Bolkum ihm reichte. Sorgfältig verstaute er sie in einer Satteltasche, die mit dicker Watte ausgekleidet war.
»Reiten Sie nicht zu schnell!«, mahnte Bolkum.
Lässig winkte Royce seinem alten Freund zu und schlug die Richtung
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