Inselkönig
zutreffen«, stöhnte Hauptkommissar Thomsen.
»Bis er kam: Thies Nommensen.«
»Was zeichnet den Mann aus?«
»Nommensen ist zweiundsechzig, verheiratet, eine
Tochter. Es geschieht praktisch nichts auf Föhr, in dem er nicht seine Finger
hat. Wenn ein größeres Bauvorhaben geplant ist … Nommensen versteht es, das
Projekt an sich zu ziehen. Er bestimmt, wem Kredit gewährt und wer ins Abseits
gestellt wird. Er … Es würde zu weit führen. Wenn es nicht so traurig wäre,
könnte man Vergleiche mit alten Western ziehen. Dort trifft man auch häufig den
Herrscher der Stadt an, nach dessen Pfeife getanzt wird.«
»Na … na«, sagte Christoph mit spöttischem Unterton.
»Auf Föhr wird doch nicht der Sheriff gekauft sein? Ich glaube eigentlich, mich
gut in Nordfriesland auszukennen, auch auf den Inseln und Halligen. Aber von
Thies Nommensen oder einem ›Inselkönig‹ habe ich noch nie etwas gehört.«
»Daran sehen Sie, wie geschickt der Mann seine Fäden
zu spinnen versteht. Den Gästen und Besuchern wird er unbekannt sein, und
vielen Föhringern sagt der Name auch nichts, zumindest nicht in Verbindung mit
den Dingen, die hinter den Kulissen geschehen.«
Christoph lehnte sich entspannt zurück. »Erzählen
Sie«, forderte er Thomsen auf.
»Nommensen hat definitiv die Insel nicht verlassen.
Das geht nur mit der Fähre oder dem Flugzeug. Beide Möglichkeiten haben wir
überprüft. Nichts.« Der Hauptkommissar schüttelte zur Bestätigung seiner
Feststellung den Kopf. »Der Mann ist auch nicht verunglückt und liegt in einem
Krankenhaus. Das ist bei uns alles sehr familiär. Und auch die Variante, dass
er unentdeckt in irgendeinem Graben liegt, scheidet aus. Nein! Nommensen ist
verschwunden. Und seit heute Mittag liegt eine Vermisstenanzeige vor.«
»Wer hat die aufgegeben?«
»Seine Ehefrau, Telse Nommensen.«
Christoph umfasste mit beiden Händen das Lenkrad und
stemmte sich ein wenig ab. »Das mag rätselhaft erscheinen, liegt aber für mich
immer noch im Bereich der Routine.«
»Wir sind als Polizei auf einer Insel in vielen Fällen
auf uns allein gestellt«, erwiderte Hauptkommissar Thomsen. »Damit können wir
auch umgehen. Während auf dem Festland Unterstützung eines Fachkommissariats
angefordert oder Hilfe von der Bereitschaft erbeten werden kann, müssen wir auf
der Insel das Problem häufig selbst lösen. Das macht den besonderen Reiz
unseres Dienstes aus. In diesem Fall würde ich aber gern auf Ihren Rat
zurückgreifen, weil allein in der Person des Vermissten besondere Brisanz
liegt.«
Christoph atmete tief durch. »Schön«, sagt er. »Dann
werden wir eben die nächste Fähre nehmen.«
»Danke«, sagte Thomsen, setzte sich die Mütze auf und
öffnete mit Mühe die hintere Wagentür, um sich zum Streifenwagen
zurückzubegeben.
Christoph startete den Motor.
»Was soll das jetzt?«, protestierte Anna. »Die werden
doch allein nach diesem Thies suchen. Und überhaupt: Inselkönig! Das klang sehr
dramatisch. Es hört sich an, als wären die schon mit einfachen Dingen
überfordert, die nicht in das Schema ihres Alltags passen.«
»Das ist ungerecht«, entgegnete Christoph. »Die
Beamten auf den Inseln haben einen vielschichtigen und verantwortungsvollen
Job. Sie sind Mädchen für alles. Und wenn er mich um Rat fragt, steckt mehr
dahinter.«
»Und was ist mit mir?«
»Du wirst dich um ein wenig Geduld bemühen. Wie oft
warte ich auf dich, weil dich Doktor Hinrichsen nicht aus der Praxis lässt.
Hast du gezählt, wie häufig du mich versetzt hast, wenn wir in der Mittagspause
in Jacquelines Café oder bei Schmidt verabredet waren?«
Christoph dachte an die Gelegenheiten, bei denen er
allein in der obersten Etage des Husumer Kaufhauses nach Anna Ausschau gehalten
hatte, dort, wo es zu jeder Tageszeit schwierig ist, einen freien Tisch zu
bekommen, weil nicht nur Einheimische, sondern auch viele Gäste das
umfangreiche Angebot des weit über die Grenzen Husums bekannten Restaurants zu
schätzen wussten.
»Das ist etwas anderes«, protestierte Anna. »Wenn ich
Überstunden mache, handelt es sich um Menschen, die Hilfe benötigen.«
»Und wann ruft man die Polizei?« Christoph lachte laut
auf.
Anna zog einen Schmollmund. »Die Argumente zählen
nicht«, erwiderte sie, und an der Art und Weise, wie sie es sagte, erkannte
Christoph, dass ihr Widerstand erlahmte. Dafür zeigte sie mit dem Finger zur
Verladebrücke, an der inzwischen die Fähre festgemacht hatte. »Ich hatte doch
recht. Es ist
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