Inselwaechter
starben, viele andere blieben dauerhaft geschädigt. Dabei gab es bereits zugelassene Medikamente. Doch Pfizer wollte beweisen, dass sein neues Mittel besser sei. Der Rechtsstreit dauerte Jahre. Vor zwei Jahren wurde Pfizer schließlich dazu verurteilt, fünfundsiebzig Millionen Dollar Schadenersatz zu leisten. Im Zuge der WikiLeaks-Veröffentlichungen kam nun ans Licht, dass Pfizer den nigerianischen Staatsanwalt unter Druck gesetzt haben soll, um hohen Strafzahlungen zu entgehen, denn diese fünfundsiebzig Millionen sind geradezu lächerlich. In den USA wären es Milliarden gewesen. Der Pharmakonzern soll Korruptionsvorwürfe gegen den Staatsanwalt ausgegraben haben, um ihn unter Druck zu setzen. Das Ganze steht in einem der WikiLeaks-Botschaftsprotokolle. Ein Manager hat es bei einer Cocktailparty zum Besten gegeben und ein Botschaftsangehöriger hat einen Bericht darüber gefertigt – fleißiges Kerlchen. Medikamententests spielen eine immer bedeutendere Rolle im Konkurrenz- und Marktkampf und entscheiden über Performance und Sein- oder Nichtsein eines Unternehmens und die weichen in Schwellenländer aus. Unter anderem auch deswegen, weil in Industrieländern bis zu siebzig Prozent der Studienteilnehmer wieder abspringen. In Indien halten hingegen bis zu neunzig Prozent bis zum Schluss durch. Und auf dem Markt geht es richtig rüde zu. Stellt euch vor – die Firma Sun Pharmaceuticals hat Frauen suchen lassen, die bisher vergeblich versucht hatten, schwanger zu werden. Vierhundert meldeten sich. Doch statt eines Fruchtbarkeitsmedikaments erhielten sie Letrozol, ein Arzneimittel gegen Krebs.«
»Und was hat das mit unserem Fall zu tun?«, fragte Kimmel.
Schielin antwortete: »Wir haben festgestellt, dass Grohm sehr viel Zeit für sein soziales Engagement aufwendet. Er ist Stiftungsratmitglied. Die Stiftung widmet sich der Unterstützung osteuropäischer Pflegeheime.«
»Das ist ja grundsätzlich etwas Lobenswertes«, warf Kimmel ein.
»Ein weiteres Stiftungsmitglied ist Frederic Gahde, ein Studienkollege Grohms. Er war letzte Woche hier in Lindau und hat sich mit Grohm getroffen. Gahde ist Geschäftsführer einer Firma namens PharmXpress GmbH. Diese Firma finanziert zu großen Teilen Grohms Stiftung. Sebald war früher auch im Stiftungsrat. PharmXpress ist ein sogenannter Dienstleister. Auf den ersten Blick könnte man meinen, die kümmern sich um Werbung, Presse, Public Relations, Kommunikationsberatung und so weiter. Doch die Kernkompetenz dieser Firma besteht darin, der Pharmaindustrie, und in diesem weiten Feld insbesondere den Herstellern von Psychopharmaka, Hilfestellung bei Neuentwicklungen zu geben – soll heißen: PharmXpress organisiert und leitet eigenständig und eigenverantwortlich Medikamententests. Das ist die Dienstleistung, die sie anbieten.«
»Und wie kommen wir nun zu unserem Fall Agnes Mahler?«, wollte Robert Funk wissen.
Es war Jasmin Gangbacher, die antwortete. »Die Pharm-XPres hieß früher ZenoPam, war in Würzburg beheimatet und ging nach einem Testunfall in Konkurs. Ihr Geschäftsführer Frederic Gahde gründete danach die PharmXpress mit Sitz im hübschen Taunusstädtchen Königstein. Am letzten Freitag befand sich ein Fahrzeug der PharmXpress in Lindau – ein gewisser Rolf Schmahlbach befand sich mit einem auf die Firma zugelassenen Mercedes Benz im Kanuclub Lindau. Und das ist doch nun wirklich kein Zufall.«
»Ich verstehe dich schon richtig, Conrad«, fragte Kimmel nach, »du bist der Meinung, Grohm ist unser Mann?«
»Ja.«
»Und diese Frau, diese Schirr, von der Grohm sagt, er hätte sie gesehen?«
»Wir müssen sie vernehmen, sicher. Ich möchte mich aber auf Grohm konzentrieren. Das ist ein Mensch, der sich gut im Griff hat. Das ist mir bei allen Begegnungen aufgefallen, und da stellt sich mir schon die Frage: Aus welchem Grund fängt so ein Mensch Streit mit einem Schrankenwärter an, nur weil er etwas länger an einer Schranke warten muss. Und das zu einer Zeit und Situation, in der man nicht in Eile ist, sondern es ein eher meditatives Unterwegssein sein sollte. Das habe ich nicht verstanden. Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass er entweder jemanden brauchte, der ihn zu dieser Zeit an diesem Ort gesehen hat, oder er war wirklich unter Zeitdruck, gehetzt, angespannt.«
Wenzel war skeptisch. »Aber das bringt ihm doch nichts. Die Angabe des Todeszeitraums ist zwar relativ eng – aber jeder der bisher Verdächtigen kann im betreffenden Zeitraum ohne
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