Inselzauber
gezeigt habe. Das Sylt, das mit dem Promitreiben in Kampen oder in der Sansibar ebenso wenig zu tun hat wie mit dem Nacktbaden an der Buhne 16, den schicken Partys im Roten Kliff, dem Schaulaufen in der Sturmhaube oder auf der Terrasse des Grand Plage.
Es versetzt mir einen kurzen Stich, als ich daran denke, wie Stefan und ich in der Alten Friesenwirtschaft hier in Keitum saßen und zum ersten Mal darüber sprachen, wie es wohl wäre, wenn wir zusammenwohnten. Oder als wir beim Strandspaziergang um den »Ellbogen« Pläne für Stefans Praxis schmiedeten. Als wir überlegten, wie wir das Geld dafür zusammenbekommen könnten. Und schließlich eine Lösung fanden.
Ich habe nicht lange Gelegenheit, meinen trüben Gedanken nachzuhängen, denn Leon fragt mich nach meinen Lieblingsbüchern. Es stellt sich heraus, dass der Kulturteil des
Tagesspiegels
in sein Ressort fällt, und ehe ich es mich versehe, stecken wir auch schon mitten in einer Diskussion darüber, ob das Lesen als Freizeitbeschäftigung in dieser von Hektik und Zeitmangel geprägten Zeit in Zukunft überhaupt noch eine Bedeutung haben wird. Als er sich wundert, dass ich als Hotelkauffrau in Sachen Literatur so bewandert bin, erzähle ich ihm, dass mein Vater Lehrer für Deutsch und Geschichte war, dass Bücher in unserem Leben immer schon eine große Rolle gespielt haben und die Liebe zur Literatur bei uns in der Familie liege.
»Er hieß übrigens Eduard Bär«, sage ich, als Leon sich gegen 24.00 Uhr verabschiedet und in die eiskalte, sternklare Nacht verschwindet.
Ich sehe noch, wie er anerkennend grinst, und schließe die Tür hinter ihm.
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Kapitel 2
M orgen, meine Süße! Zeit, aufzustehen«, vernehme ich unvermittelt die Stimme meiner Tante und kann kaum glauben, wie dynamisch und fröhlich sie klingt. Verschlafen werfe ich einen Blick auf meinen Wecker, der 6.30 Uhr anzeigt.
»Bea, ich fasse es nicht! Spinnst du?«, quake ich in die Richtung, aus der die Stimme kommt, und ziehe mir die Decke über den Kopf. »Was willst du denn schon so früh?«
»Es ist gar nicht so früh, mein Liebling, angesichts des Programms, das auf uns wartet«, lautet die lapidare Antwort meiner Tante, die offensichtlich schon mit Protest meinerseits gerechnet hat. »Wir müssen doch alles ganz genau durchspielen, für die Zeit, wenn ich nicht da bin. Und wir müssen aus einer Hotelfachfrau möglichst schnell eine Buchhändlerin machen. Also, raff dich auf, unten steht Tee, der wird bald kalt.« Beas Stimme duldet keinen Widerspruch.
Also schwinge ich missmutig die Beine aus dem Bett und treffe damit aus Versehen Timo, der demonstrativ seine Leine in der Schnauze hat und mich auffordernd ansieht.
»Oh, Timo, nein. Ich KANN jetzt nicht mit dir Gassi gehen, vergiss es!«, versuche ich ihm klarzumachen, dass ich keine dynamische Frühaufsteherin bin. Da muss er sich schon jemand anderen suchen, der zu dieser nachtschlafenden Zeit mit ihm um die Ecken tobt.
Da fällt mir plötzlich siedend heiß ein: Wenn Bea auf Reisen ist, muss sich jemand um den Hund kümmern. Und dieser jemand werde naturgemäß wohl ich sein. Ein Gedanke, der mir überhaupt nicht behagt. So ein riesiges Tier braucht jede Menge Auslauf, und ich gehe nicht gerade gern spazieren. Erst recht nicht mitten in der Nacht.
»Dich bringen wir als Erstes auf Veros Hof«, sage ich zu Timo, der erfreut mit dem Schwanz wedelt.
Er sieht aus, als würde ihm die Vorstellung gefallen, den ganzen Tag auf dem Bauernhof Enten zu jagen und im angrenzenden Teich zu baden. Als er jedoch erkennt, dass es – wenn überhaupt – nicht sofort losgeht, weil ich unmissverständlich den Weg ins Bad einschlage, trottet er missmutig die Treppe hinunter. Ich könnte schwören, dass er dabei Protestlaute von sich gibt.
Um wach zu werden, spritze ich mir erbarmungslos eiskaltes Wasser ins Gesicht, was mich eine ungeheure Überwindung kostet, denn im Bad ist es alles andere als warm. Für mich als Hamburger Frostbeule, die mitunter sogar im Sommer die Heizung anmacht, stellt dieses zweihundert Jahre alte Kapitänshaus eine echte Herausforderung dar. Denn hier gibt es keine Zentralheizung, sondern pro Raum entweder einen Öl- oder einen Kohleofen und im Wohnzimmer zusätzlich einen gemauerten Kachelofen, an den ich mich als Kind immer gern gekuschelt habe. Da Bea von Natur aus nicht besonders kälteempfindlich und immer in Aktion ist und Knut sowieso fast nie zu Hause war, ist es für sie ein Kinderspiel, mit diesen
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