Inside Occupy
Mal in der Menschheitsgeschichte, tausend Behältnisse für Öl oder Getreide derselben Größe herzustellen, jede mit einer identischen Maßangabe. Und das mit beängstigenden Implikationen für alle Beteiligten. Hat man erst einmal gleichförmige Produkte, dann hat man auch die Möglichkeit, genau zu vergleichen, um wie viel einer mehr hat als der andere. Es gelang zwar, das Unvermeidliche tausend Jahre aufzuhalten, was an sich ein bemerkenswertes Zeugnis für das menschliche Durchhaltevermögen ist, aber dann passierte es eben doch, und wir haben noch heute mit den Folgen zu tun.
Es ist kaum wahrscheinlich, dass wir eine sechstausend Jahre alte Innovation je werden rückgängig machen können. Aber andererseits, warum sollten wir? Große unpersönliche Strukturen und einförmige Produkte wird es immer geben. Die Frage ist nicht, wie so etwas rückgängig zu machen wäre, sondern wie man es in den Dienst seines Gegenteils stellen kann: einer Welt, in der Freiheit bedeutet, Ziele verfolgen zu können, die schlicht nicht miteinander vergleichbar sind. Unsere gegenwärtige Konsumgesellschaft scheint uns das zwar als höchstes Ideal hinzustellen, aber was sie uns wirklich vorgaukelt, ist hohler Schein.
Man kann sich Gleichheit, was Dinge anbelangt, am besten auf zweierlei Arten vorstellen: entweder indem sie (jedenfalls in jeder wesentlichen Hinsicht) genau gleich oder indem sie so verschieden sind, dass sie sich schlicht nicht vergleichen lassen. Dieser Logik zufolge ist es bei unser aller Einzigartigkeit ebenso wenig möglich, bessere und schlechtere Menschen auszumachen, wie sich etwa zwischen höher- und minderwertigen Schneeflocken unterscheiden lässt. Baut man auf dieses Verständnis eine egalitäre Politik, so wäre deren Logik folgende: Da es keine Grundlage dafür gibt, derart einzigartigen Individuen aufgrund ihrer jeweiligenVorzüge einen Rang zuzuweisen, gebührt auch jedem dasselbe Quantum an messbaren Dingen – gleiches Einkommen, gleich viel Geld oder ein gleicher Anteil am Reichtum.
Wenn man es recht bedenkt, so ist das doch sonderbar. Dieses Prinzip geht davon aus, dass wir alle unserem Wesen nach völlig verschieden sind, merkwürdigerweise aber alle dasselbe wollen. Was, wenn wir das umkehren würden? Auf eine gewisse seltsame Art macht die bestehende feudalisierte Variante des Kapitalismus, in der Geld und Macht effektiv ein und dasselbe geworden sind, uns das einfacher. Das eine Prozent, das die Welt beherrscht, mag aus dem Streben nach Geld und Macht eine Art autistisches Spiel gemacht haben, bei dem Geld und Macht zum Selbstzweck geworden sind. Für die anderen – für uns, für die 99 Prozent – jedoch bedeutet Geld, Einkommen, Freiheit von Schulden die Macht, nach etwas anderem zu streben als Geld. Was etwas grundlegend anderes ist.
Was, wenn wir zwar alle gleich sind, wir uns aber alle verschieden machen, weil wir nicht alle dasselbe wollen? Was, wenn Freiheit die Fähigkeit wäre, uns zu entscheiden, wonach wir streben wollen und mit wem? Und Gleichheit dieselbe Macht für alle, genau dies zu tun? Und Demokratie unsere Fähigkeit, als vernünftige Menschen zusammenzukommen und unsere gemeinsamen Probleme zu lösen – Probleme, die wir immer haben werden, deren Lösungen sich jedoch erst wirklich entfalten können, wenn Zwangsstrukturen verblassen oder gleich kollabieren?
Das ist es, was ich persönlich gerne sehen würde.
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Konvertierung Koch, Neff & Volckmar GmbH, KN digital – die digitale Verlagsauslieferung, Stuttgart
ISBN der Printausgabe: 978-3-593-39719-1
ISBN ePub-Ausgabe: 978-3-593-41808-7
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Das einzig existente Foto von der Versammlung am 2. August am Fuße des Bowling Green. Der Autor im weißen Slackers-T-Shirt ist der siebte, Georgia Sagri im grauen Top und gelber Sonnenbrille die neunte von links. Chris, im grauen T-Shirt, steht
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