Inside Occupy
Höhepunkt des Global Justice Movement, massiv bei den New Yorker Aktivisten engagiert. Damals hatte der eine oder andere unter uns das Gefühl gehabt, es könnte sich so etwas wie eine revolutionäre Bewegung herausbilden. Das waren berauschende Wochen und Monate. Jeden Tag, so schien es, passierte etwas anderes, eine Demonstration, eine »Reclaim the Streets«-Aktion, eine U-Bahn-Party oder sonst etwas; und dann gab es tausend verschiedene Meetings. 9/11 war ein schwerer Schlag für uns gewesen, auch wenn es einige Jahre dauerte, bis die Auswirkungen voll zu spüren waren. So nahmen etwa die polizeilichen Übergriffe in kaum zu fassender Weise zu. Als zum Beispiel 2008 sechs, sieben unbewaffnete Studenten bei einer Protestaktion das Dach der New School besetzten, rückte die New Yorker Polizei gleich mit fünf verschiedenen Antiterror-Einheiten aus – mit allerhand merkwürdigen Science-Fiction-Waffen bewehrte Kommandos seilten sich aus Hubschraubern auf das Dach ab! Basisdemokratische, »horizontal« organisierte Anarchokleingruppen wurden zusehends durch große und straff von oben nach unten durchorganisierte Antikriegs-Koalitionen ersetzt, deren politische Fantasie sich weitgehend darin erschöpfte,mit Bannern, Transparenten und Schildern herumzumarschieren. Währenddessen verzehrte sich die New Yorker Anarchistenszene in inneren Kabbeleien und schaffte es nur noch, eine alljährliche Buchmesse auf die Beine zu stellen.
Die Bewegung des 6. April
Ich war Anfang Juli, nur wenige Tage vor den dortigen Unruhen, von London aus nach Hause geflogen. Zunächst sah ich meinen Verdacht bestätigt: Es schien wirklich nicht viel los zu sein. Die Anarchistenszene war kaum mehr als eine wandelnde Leiche. Die wahrscheinlich aufregendste Gruppe, von der ich wusste, hatte noch nicht mal etwas mit dieser Szene zu tun. Es handelte sich dabei um eine Organisation namens US Uncut. Sie war von einer britischen Koalition (UK Uncut) inspiriert worden, die im Herbst 2010 begonnen hatte, massiven bürgerlichen Ungehorsam gegen die geplanten Sparmaßnahmen der Tory-Regierung zu organisieren.
Kontakt mit US Uncut hatte ich seit einem New-York-Besuch während meiner Semesterferien Ende April. Womöglich hilft es meinen Lesern und Leserinnen, sich die internationalen Verbindungen zu vergegenwärtigen, die bei globalen Protestbewegungen mit im Spiel sind, wenn ich kurz erkläre, wie ich auf die Leute gekommen war.
Mein Engagement bei US Uncut begann damit, dass meine alte Freundin, die ehemalige Baumbesetzerin und Ökoaktivistin Priya Reddy, mir eines Tages sagte, es gebe am Abend im New Yorker Brecht Forum eine Veranstaltung mit zwei Mitbegründern der ägyptischen Jugendbewegung des 6. April.
Das war eine aufregende Nachricht, schließlich hatte diese Facebook-Gruppe bei der jüngsten ägyptischen Revolution eine Schlüsselrolle gespielt. Wie sich herausstellte, waren die beiden Ägypter auf Buchtour in der Stadt. Einige unverplante Stunden brachten sie auf die Idee, ihren Verlegern zu entwischen und sich mit anderen Aktivisten zu treffen. So hatten sie Marisa Holmes angerufen, Anarchistin und radikale Filmemacherin, die jüngst einen Monat in Ägypten verbracht hatte, um die Revolution zu dokumentieren – offenbar war sie die Einzige aus dem Kreis der New Yorker Aktivisten, deren Nummer die beiden hatten. Marisa hatte im Brecht Forum angerufen, einem linken Bildungszentrum, wo öfter mal ein Raum frei ist, und innerhalb eines Tages etwas auf die Beinegestellt. So landeten wir denn, etwa zwanzig Leute, mit den beiden Ägyptern an einem großen runden Tisch in der Bibliothek des Brecht Forums. Ahmed Maher, jung, kahl und eher still – hauptsächlich wohl deshalb, weil sein Englisch nicht so gut war –, war einer der Gründer der Gruppe; der andere, Waleed Rashed, groß, rotwangig, wortgewandt, witzig, bot sich rasch als Sprecher der beiden an. Wir hörten Geschichten über ihre zahlreichen Verhaftungen und all die kleinen Tricks, mit denen man die Geheimpolizei überlistet hatte.
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Die ägyptischen Aktivisten Ahmed Maher und Waleed Rashed im Brecht Forum
»Besonders ausgiebig setzten wir auf Taxifahrer. Ohne dass die das wussten! Dazu muss man wissen, dass ägyptische Taxifahrer aus Tradition reden müssen. In einer Tour. Sie können nicht anders. Es gibt sogar eine Geschichte, laut der ein Geschäftsmann, der sich für eine lange Fahrt ein Taxi nahm, den Fahrer nach einer halben Stunde bat, den Mund zu halten,
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