Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
ab.
»Mir ist klar, dass Sie einen furchtbaren Schock erlitten haben müssen«, sagte Banks, »aber meinen Sie, Sie können ein paar Fragen beantworten?«
Rebecca nickte.
»Gut. Haben Sie den Fund der Leiche sofort gemeldet?«
»Fast. Als ich die Gestalt gesehen habe, als mir bewusst wurde, was es ist, da ... Zuerst wurde mir übel. Dann bin ich hierher zurückgelaufen und habe die Polizei angerufen.«
»Was haben Sie auf dem Friedhof gemacht, in so einer fürchterlichen Nacht?«
»Ich wollte den Engel besuchen.«
Sie sprach so leise, dass Banks glaubte, sie nicht richtig verstanden zu haben. »Wie bitte?«, fragte er.
»Ich sagte, ich wollte den Engel besuchen.« Mit großen, feuchten Augen hielt sie trotzig seinem Blick stand. Sie waren vom Weinen rot unterlaufen. »Was ist falsch daran? Ich mag Friedhöfe. Jedenfalls bisher war es so.«
»Was ist mit dem Glas?«
»Ich hatte ein Glas Wein dabei. Es rutschte mir aus der Hand, dann fiel ich hin. Schauen Sie.« Sie lüftete ihr Kleid bis zu den Knien. Beide waren verbunden, aber das Blut begann bereits durch den Verband zu sickern.
»Vielleicht sollten Sie lieber zum Arzt gehen«, riet Banks.
Rebecca schüttelte den Kopf. »Nicht nötig.«
»Haben Sie die Leiche in irgendeiner Weise berührt?«, fragte Banks.
»Nein. Ich habe nichts angefasst. Ich bin nicht nahe an sie herangegangen.«
»Haben Sie sie erkannt?«
»Nur, dass es ein Mädchen von St. Mary's war.«
»Kannten Sie ein Mädchen namens Deborah Catherine Harrison?«
Rebecca legte eine Hand vor den Mund und nickte. Einen Moment lang glaubte Banks, dass ihr wieder übel werden würde. Ihr Ehemann rührte sich nicht, doch konnte Banks an seinem Gesichtsausdruck ablesen, dass der Name auch ihm etwas sagte.
»War sie es?«, wollte Rebecca wissen.
»Das glauben wir. Aber ich muss Sie bitten, niemandem davon zu erzählen, bis die Identität bestätigt worden ist.«
»Natürlich. Arme Deborah.«
»Also kannten Sie sie?«
»Sie hat im Chor gesungen«, sagte Daniel Charters. »Die Schule und die Kirche sind sehr eng miteinander verbunden. Die Schule hat keine eigene Kapelle, deshalb besuchen sie unsere Gottesdienste. Und eine Reihe der Schülerinnen singt bei uns im Chor.«
»Haben Sie eine Ahnung, was sie zwischen fünf und sechs Uhr auf dem Friedhof getan haben könnte?«
»Es ist eine Abkürzung«, erklärte Rebecca. »Von der Schule zu ihr nach Hause.«
»Aber die Schule ist um halb vier zu Ende.«
Rebecca zuckte mit den Achseln. »Es gibt dort Kurse, Klubs, Sportgruppen und so weiter. Da müssen Sie Dr. Green fragen, die Leiterin.« Sie nahm noch einen Schluck Brandy. Der Hund vor dem Kamin hatte sich die ganze Zeit nicht gerührt. Einen Augenblick lang dachte Banks, dass er vielleicht gestorben war, doch dann bemerkte er, wie sich das Fell gemächlich bewegte, wenn er atmete. Wahrscheinlich war er lediglich alt. Genauso, wie Banks sich momentan fühlte.
»Hat einer von Ihnen am frühen Abend draußen etwas gesehen oder gehört?«, fragte er.
Daniel schüttelte den Kopf und Rebecca sagte: »Ich glaubte, etwas gehört zu haben. Als ich in der Küche war, um den Wein zu öffnen. Es hörte sich an wie ein erstickter Schrei.«
»Und was haben Sie getan?«
»Ich bin ans Fenster gegangen. Natürlich konnte ich bei dem Nebel nichts sehen, und nachdem ich für eine Weile nichts mehr hörte, dachte ich, es müsse ein Vogel oder ein kleines Tier gewesen sein.«
»Erinnern Sie sich, wie spät es war?«
»Ungefähr sechs Uhr, vielleicht fünf nach. Im Fernsehen hatten gerade die Lokalnachrichten begonnen.«
»Und obwohl Sie meinten, einen Schrei gehört zu haben, sind Sie dennoch vierzig Minuten später hinaus auf den dunklen, nebligen Friedhof gegangen?«
Rebecca warf einen Blick auf die leere Weinflasche. »Das hatte ich in dem Moment schon wieder vergessen«, sagte sie. »Außerdem habe ich Ihnen ja gesagt, dass ich es für ein Tier hielt.«
Banks wandte sich an Daniel Charters. »Haben Sie etwas gehört?«
»Er war in seinem Arbeitszimmer, bis ich schreiend zurückkam, als ich die Leiche entdeckt hatte«, antwortete Rebecca. »Das ist das andere Zimmer auf der Vorderseite des Hauses. Von dort konnte er nichts gehört haben.«
»Mr Charters?«
Daniel Charters nickte. »Das stimmt. Ich habe an einer Predigt gearbeitet. Meine Frau hat
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