Inspector Alan Banks 08 Der unschuldige Engel
Kann man vom Fluss aus reinkommen?«
Stott schüttelte den Kopf. »Da ist die Mauer auch zu hoch, außerdem sind oben Glasscherben eingelassen.«
»Ein einladendes Örtchen, was?«
»Ich habe gehört, dass es hier Fälle von Vandalismus gegeben hat.«
Banks spähte durch den Nebel zu den Lichtern des Pfarramtes. Sie sahen aus wie Geisteraugen. »Sie sind doch ein Mann der Kirche, oder, Barry?«
Stott nickte. »Ja. Aber meine Gemeinde ist St. Cuthbert's, nicht St. Mary's.«
Banks deutete mit einer Kopfbewegung zum Pfarramt. »Wissen Sie, wer hier Pfarrer ist?«
»Pfarrer Daniel Charters.«
Banks hob seine Augenbrauen. »Dachte ich mir doch. Ich kenne nicht alle Einzelheiten, aber ist er nicht derjenige, der in letzter Zeit ab und zu in den Nachrichten auftauchte?«
»Das ist er«, bestätigte Stott mit zusammengebissenen Zähnen.
»Interessant«, sagte Banks, »sehr interessant.« Und dann schlenderte er in Richtung Pfarramt.
* III
Die Frau, die auf Banks' Klopfen hin die Hintertür öffnete, war seiner Schätzung nach Mitte dreißig, hatte glänzendes rotbraunes Haar, das ihr wallend auf die Schultern fiel, einen olivenfarbenen Teint, haselnussbraune Augen und die vollsten, sinnlichsten Lippen, die er jemals gesehen hatte. Außerdem hatte sie einen benommenen, geistesabwesenden Gesichtsausdruck.
»Ich bin Rebecca Charters«, sagte sie und schüttelte seine Hand. »Bitte kommen Sie herein.«
Banks folgte ihr durch die Diele. Sie war eine große Frau, trug einen schweren schwarzen Schal über ihren Schultern und ein weites, langes blaues Kleid, das über ihre wogenden Hüften bis fast hinab auf die Steinplatten des Korridors reichte. Ihre Füße waren nackt und schmutzig, Grashalme klebten an Knöcheln und Spann. An der Achillessehne ihres rechten Fußes war außerdem ein frischer Schnitt. Während sie ging, wackelten ihre Hüften ein wenig mehr, als er es von der Frau eines Pfarrers erwartet hätte. Und bildete er sich das nur ein oder war sie etwas unsicher auf den Beinen?
Sie führte ihn in ein Wohnzimmer mit hohen Decken und tristen, gestreiften Tapeten. Constable Kemp stand neben der Tür, und Banks sagte ihr, dass sie jetzt gehen könne.
Flaschengrüne Samtvorhänge waren gegen den Nebel vor das Erkerfenster gezogen worden. Genau gegenüber der Tür befand sich ein leerer, gefliester Kamin; davor lag ein großes Bündel aus braun-weißem Fell, das Banks für einen Hund unbestimmter Rasse hielt. Was auch immer es war, er hoffte, dass er dort liegen blieb. Er hatte nichts gegen Hunde, aber er konnte es nicht ertragen, wenn sie sabbernd an ihm hochsprangen. Katzen waren schon eher nach Banks' Geschmack. Er schätzte ihre arrogante Art, ihren Sinn für Unabhängigkeit und ihren Spieltrieb und hätte gerne eine Katze zu Hause gehalten, wenn nicht Sandra, seine Frau, furchtbar allergisch gegen die Tiere gewesen wäre.
Die einzige Wärmequelle im Zimmer war ein kleiner weißer Heizlüfter vor der gegenüberliegenden Wand. Banks war froh, seinen Mantel noch nicht ausgezogen zu haben; er war dankbar für die zusätzliche Wärmeschicht.
Um einen Couchtisch war eine dreiteilige, mit abgewetztem braunem Kordsamt bezogene Sitzgarnitur angeordnet und in einem der Sessel saß ein Mann mit dichten schwarzen und fast zusammengewachsenen Augenbrauen, einer zerfurchten Stirn, einem langen, blassen Gesicht und hervorstehenden Wangenknochen. Er hatte den gehetzten Blick eines besorgten, jungen Geistlichen, wie aus einem alten Film.
Als Banks hereinkam, stand der Mann auf, ein Manöver, bei dem er einem großen, langbeinigen Tier glich, das sich aus seiner Höhle wand, und streckte seine schmale Hand aus.
»Daniel Charters. - Möchten Sie einen Kaffee?«
Während er seine Hand schüttelte, bemerkte Banks die Kanne auf dem Tisch und nickte. »Sehr gerne«, sagte er. »Schwarz, ohne Zucker.«
Banks setzte sich auf das Sofa, Rebecca Charters nahm neben ihm Platz. Auf dem Couchtisch stand außerdem eine leere Flasche rumänischer Pinot noir von Sainsbury.
Während Daniel Charters Kaffee einschenkte, ging Rebecca zu einem Glasschrank, nahm eine Flasche und einen Schwenker heraus und schenkte sich einen großen Brandy ein. Banks bemerkte, dass ihr Mann sie mit einem bösen Blick bedachte, den sie jedoch ignorierte. Der Kaffee war gut. Schon in dem Moment, wo er den ersten Schluck trank, klang Banks' Kratzen im Hals ein wenig
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