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Inspector Jury besucht alte Damen

Inspector Jury besucht alte Damen

Titel: Inspector Jury besucht alte Damen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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schauspielerischer Begabung zu überzeugen. Ganz zu schweigen von ihrem einfach umwerfenden Aussehen.
    Sie ließ sich auf das Sofa fallen und fläzte sich hin wie eine Zehnjährige. Die klingelnden Knöchel kamen auf dem Couchtisch zu liegen. «Ich habe doch bloß so eine klitzekleine Rolle in Scheiß-Camdentown. Nicht mal eine Sprech rolle.»
    Sie dehnte das Wort derart in die Länge und schnitt dazu solch ein Gesicht, daß Jury gern gelacht hätte. «Sie brauchen nicht zu sprechen. Wie Mrs. Wassermann sagt: ‹Die geht die Straße lang, und schon hat man einen kompletten Dialog.› Ich dachte, Sie wollten eine zweite Shirley MacLaine werden. Oder war es Julie Andrews? Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, wie Sie im Dirndl den Berg runtergelaufen kommen. Und singen können Sie auch nicht.»
    «Ich will nicht sein wie die. Ich möchte die Medea spielen.»
    Er hob den Blick von seinem Kleidersack. «Sie wollen wen spielen?»
    Sie hatte sich eine von Jurys Zigaretten gemopst, krümmte ihre Zehen um den Telefonhörer und versuchte, ihn abzuheben. «Hab ich in der Glotze gesehen, mit Zoë Caldwell, ist Ihnen die ein Begriff?»
    Jury sah seine nicht zusammenpassenden Socken durch und sagte: «Wenn Sie etwa zweitausend Jahre lang Schauspielunterricht nehmen, so bringen Sie es vielleicht mal zur zweiten Besetzung ihrer zweiten Besetzung.» Er deutete mit dem Kopf auf ihr Kostüm. «Falls Sie die Fetzen da ablegen.»
    «Na gut, Sie haben recht, die Kostüme für Medea sollten vielleicht mal geändert werden. Ich würde das Ganze etwas aufmöbeln, dann könnte ich mein kleines Rotes tragen.»
    «Ihr Rotes? Ich kann mir Medea einfach nicht in Ihrem Chinatown-Rot vorstellen. Und Füße weg von meinem Telefon.»
    Ausgerechnet in diesem Augenblick mußte es klingeln.
    «Nicht abheben», sagte Carole-anne im Bühnenflüsterton. «Höchstwahrscheinlich ist es bloß SB-Strich-H.»
    Das Telefon surrte. «Ich höre selten von Miss Bredon-Hunt. Dafür haben Sie gesorgt. Ich vermute eher, es ist C-Strich-S Racer. Verdammter Mist.» Jury erdrosselte ein Paar Socken.
    Carole-anne hopste hoch. «Lassen Sie mich abheben, ich sage, Sie sind schon weg. O bitte, bitte, bitte.»
    So etwas war gräßlich unprofessionell, aber das war auch der Telefonanruf des Chief Superintendent an seinem ersten Urlaubstag, der ihm bestenfalls eine Verzögerung einhandeln und ihn schlimmstenfalls in London festhalten würde. Jury nickte.
    «Hallöchen», flötete sie, während sie sich in vollendeter Haremspose auf dem Sofa rekelte. «Bei Su-per-in-ten-dent Jury.» Schweigen. «Oh, Sie sind es, mein Lieber.» Sie ließ die Silben wie Sirup ins Telefon tropfen. «Haben ihn just verpaßt, jaha. Ist auf nach Northants.» Ihr Seufzer war lang und gramvoll, so als ob beide, sie und der Anrufer, sich darin einig wären, wie sehr Superintendent Jury ihnen fehlt. «Nein … Nur die Nummern der Ex-Flammen von seinem Freund.» Pause. «Also, mein Lieber, wenn ich Sie wäre, ich würde es nicht tun. Es ist ein Lord Caverness oder so ähnlich. Sehr krank, ja, das isser woll.» Carole-annes Umgangssprache kam jetzt durch. «Beerdigung? Nee, noch isser nich – er ist ja noch nicht tot, Schätzchen. Liegt man bloß erst im Sterben. Genau. Ja. Siecht so vor sich hin, jaha.»
    Der arme Melrose Plant. Krank, todkrank, tot. Sie war so überzeugend, daß Jury beinahe hoffte, Northants noch rechtzeitig vor Melroses Ableben zu erreichen.
    Er warf ihr einen finsteren Blick zu. Doch Carole-anne war völlig in ihre Rolle versunken. Einmal hatte sie Racer erzählt, sie sei Jurys Reinmachefrau. Jetzt machte sie reinen Tisch mit Racer, während sie gleichzeitig Jurys Couchtisch mit seinen Socken polierte. «Oooooohh.» Ihre paradiesisch mohnroten Lippen gaben einen albernen Kußlaut von sich. «Also, das ist wirklich zu schade, mein Lieber …»
    Und Jury (ganz zu schweigen von Racer) kam in den Genuß eines herzerweichenden Monologs über Liebe, Ehe und Geliebte. Dabei hatte Carole-anne die Beine übereinandergeschlagen, hielt mit den lackierten Fingerspitzen das Knie umfaßt und hatte den Blick zur Decke erhoben, als würde sie dort ihren Text ablesen.
    Jury war wie gebannt; er konnte nicht anders. Da stand er nun, zwei saubere Hemden in der Hand, die er in seine Tasche hatte tun wollen, und hörte zu. Sie ging in ihrer Rolle auf. Solange sie telefonierte, war sie, was die Situation erforderte. Wenn sie auflegte, würde sie auf der Stelle wieder Carole-anne sein.
    Klack , fiel der

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