Inspector Jury besucht alte Damen
kommen nie wieder.»
Natürlich nicht, dachte Jury. Carole-anne bekommt nämlich fürs Vorführen bezahlt. Noch hatte der Vermieter nichts spitzgekriegt.
«Offen gestanden, Mrs. Wassermann, ich finde es nett mit nur uns dreien –»
Aus dem obersten Stock drang Carole-annes laute Stimme. Sie winkte und rief Worte, die von der Frühlingsbrise davongeweht wurden. Jury sah, daß sie sich umgezogen hatte; sie prangte jetzt in einem dunklen, bis zum Hals zugeknöpften Kleid. Lange Ärmel, keinerlei Zierat. Das betörende Haar war streng zurückgekämmt. Sie hätte die Rolle der Haushälterin in Max de Winters brennendem Manderley spielen können.
Beide winkten zu ihr hoch, dann drehte sich Jury um und bedankte sich noch einmal bei Mrs. Wassermann für das wunderbare Picknick.
Eigentlich konnte Jury es nicht ausstehen, im Auto zu essen.
Im Urlaub trödelte er furchtbar gern und würde sicherlich bei jeder Raststätte am M-1 einfallen.
4
N ACHDEM SIE DEN M ANN kurz und unfreundlich zur Hölle gewünscht hatte, ließ Joanna Lewes heftig den Wagen ihrer uralten Smith-Corona-Schreibmaschine zurückfahren und blickte starr auf die Szene, an der sie gerade schrieb. Die Figuren vor ihr wollten einfach nicht zum Leben erwachen, nein, die Charaktere schienen aus Beton gemeißelt, schwer wie Skulpturen auf einem Grabmahl.
Joanna hatte schon vor Jahr und Tag entdeckt, daß sie sich Gedanken nur vom Hals halten konnte, indem sie schrieb, denn ihre eigene Schreiberei war der Muse nicht im geringsten verpflichtet; die war längst über alle Berge.
Sie knetete ihre Schulter und überlegte, wieviel Nacktheit wohl angängig war. Und sollte Matt Valerie nun grob auf das Bett stoßen? Oder sie zärtlich mit sich hinabziehen? Diese Fragen zielten nicht etwa darauf ab, daß sie danach trachtete, einen «guten» oder auch nur einen unterhaltsamen Roman zu schreiben. Es waren lediglich Punkte, die zu beachten waren, wenn es darum ging, welchem ihrer Verleger sie das fertige Manuskript zuschicken wollte. Augenblicklich gab es drei – drei Verleger, drei verschiedene Verlage und drei Pseudonyme, und obendrein noch die Bücher, die sie unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht hatte. Jetzt warf sie ihr viertes Pseudonym auf den Markt, die «Heather Quicks»-Reihe, eine neue und innovative Serie, obwohl «innovativ» in ihrem Genre eher ein Schimpfwort war.
Joanna wühlte sich durch die unordentlichen Papierberge auf ihrem Schreibtisch, stieß in ihrer Bleistiftschale auf das Kerngehäuse eines Apfels und auf die Schale einer Satsuma, die als Lesezeichen diente, konnte aber ihre Bedarfsliste nicht finden. Sie zerrte die Schreibtischschublade auf, die einem gefüllten Puter glich, vollgestopft mit zusammengeknülltem, kaffeefleckigem Papier, mehreren Zigarettenstummeln, einem von haarigem Schimmel überzogenen Fruchtkuchen, einem Fläschchen Valium und einer Tüte mit Gummibärchen. Endlich fand sie die Liste mit den von ihr zusammengestellten Richtlinien ihrer Verlage. Nummer eins war Bennick & Company. Sie las: Fünf feur. Lippenszn. min.; 150 S. OBERGRZE.; Nackth. zul., Bus. tlw. entbl. Tlw.? Was hatte sie bloß damit gemeint? Ach ja, Busen teilweise entblößt. Nummer zwei auf der Liste war Sabers. Die großen Bumsszenen in der Mitte, nach Dreivierteln des Buches und im vorletzten Kapitel. Nackt bis zur Taille. Zweihundert Seiten.
Insgesamt gab es fünf Varianten, und für jede von ihnen waren geringfügige Abweichungen vom Schema erforderlich. Sie beschloß, diesen Roman für Bennick zu schreiben, denn das würde ihr fünfzig Seiten geisttötenden Schwachsinn ersparen. Zudem hatte sie einen Vorrat an Liebesszenen, jede davon transplantationsreif für Liebe in London , womit sie sich möglicherweise um weitere dreißig, vierzig Seiten Arbeit herumdrücken konnte.
Während sie auf die antike Schreibmaschine einhämmerte, überlegte sie, woher die Leute nur die Traute nahmen zu verlangen, man solle zunächst einmal wenigstens dreißig solcher Liebesgeschichten lesen, bevor man selbst wagte, zur Feder zu greifen. Welch eine unvorstellbare Qual, auch nur eine oder zwei zu lesen; sie hatte sich halbwegs durch eine einzige geackert. Das hatte ihr, zusammen mit dem letzten Kapitel des Machwerks, ein komplettes Selbststudium im Schreiben von Liebesromanen vermittelt. Eigentlich hätte schon der Anblick des Umschlags gereicht.
Joanna seufzte und tippte. Bei ihr stand, wie bei Trollope, eine Uhr auf dem Schreibtisch – in ihrem Fall eine
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