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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Ufer des Tyne kleiner und kleiner wurde, während er in Richtung Washington fuhr.
     
     
    Als Jury in Sichtweite des Dorfangers kam, mußte er feststellen, daß ihm zwei Polizeiautos vom Northumbria-Revier zuvorgekommen waren: sie standen im Vorhof von Old Hall, der normalerweise für offizielle Besucher des Herrenhauses reserviert war. Offenbar traf das für die Polizei jetzt zu. Jury war alarmiert. Die Polizeiautos sehen, anhalten und aus dem Wagen springen war eins.
    Vor dem Tor von Old Hall hatte sich eine Gruppe Schaulustiger aus dem Dorf versammelt, von denen einige angesichts der dramatischen Ereignisse keine Zeit mehr gefunden hatten, sich noch einen Mantel überzuziehen. So standen sie frierend und mit verschränkten Armen im Schnee, warteten und rätselten.
    Jury kämpfte sich zum Tor durch und hielt einem Polizisten, der ihn aufhalten wollte, seinen Ausweis unter die Nase. Die Entschuldigung des Polizisten ging ebenso wie der Name des diensthabenden Sergeanten im Pfeifen des Windes unter.
     
    Es war Detective Sergeant Roy Cullen, der die Ermittlungen leitete, und der Klumpen Kaugummi, den er beim Reden mit der Zunge hin und her schob, trug nicht gerade dazu bei, seinen Sunderland-Akzent verständlicher zu machen. Er stellte Jury Detective Constable Trimm vor, dessen breiter Akzent auch ohne Kaugummi unverständlich genug war.
    Bei Jurys Eintreten war Cullen gerade die Treppe he runtergekommen, und Trimm hatte mit einer schwarzhaarigen Frau gesprochen, die ein Taschentuch an die Lippen preßte. Abgesehen von Kopf schütteln bekam er nicht viel aus ihr heraus.
    «Name des Opfers –» Cullen konsultierte sein Notizbuch. «… Helen Minton.» Er blickte auf. «Sie liegt oben. Was ist denn los, Mann, Sie sehn ja aus … die Spurensicherung war noch nicht da. Also Finger weg von …»
    Jury wartete die Erklärung, wie er aussehe und wovon er die Finger lassen solle, nicht ab. Es war eine kurze Treppe mit nur einer Biegung; sie erschien ihm endlos.
     
    Sie lag in dem Schlafzimmer, das sie so geliebt hatte, auf dem brokatbezogenen Bett. Ihr braunes Haar, das im Flackerlicht zweier elektrischer Kerzen rötlich schimmerte, war ihr übers Gesicht gefallen. Ihre Beine lagen halb auf dem Bett, ein Arm war zum Kopfende hin ausgestreckt, der andere ruhte auf ihrem Bauch, die Hand baumelte seitlich herab. Auf dem Boden direkt unter der Hand lag ein Pillenfläschchen, aus dem ein paar Tabletten herausgefallen waren. Die Samtkordel, die normalerweise durch den Raum gespannt war, um die Besucher auf sicherer Distanz zu halten, hing schlaff herab. Jury trat näher an das Bett heran. Es war ein recht interessantes Möbelstück: das Kopfbett war getäfelt und hatte ein Geheimfach für eine Pistole, falls der Schläfer einen nächtlichen Überfall befürchtete. Das aufklappbare Fußende war gleichzeitig ein Gewehrständer.
    Er betrachtete die Pillen auf dem Boden: vielleicht war dies das Medikament, von dem sie geglaubt hatte, es habe unangenehme Nebenwirkungen.
    Die alten Fenster klapperten, und Jury spürte einen kalten Luftzug; wären die Kerzen nicht bloß elektrisch flimmernde Imitationen gewesen, hätte man annehmen können, sie flackerten im Wind, und auch Helens Haar, das halb ihr Gesicht verbarg, sah aus, als hätte der Wind es zerzaust. Mit einem Finger strich er es sanft zurück. Wie lange war sie schon tot? Nicht sehr lange; die Haut war kühl, aber nicht kalt. Der Tod hatte ihre Blässe vertieft, so daß ihr Gesicht sich fast weiß von dem dunklen Bettüberwurf und dem rotbraunen Haar abhob.
    Wach auf! Gegen jede Vernunft versuchte er sich einzureden, daß in solchen Fällen immer wieder Irrtümer passierten. Vielleicht auch diesmal. Schnee wirbelte gegen die Scheiben und türmte sich auf den Fensterbrettern. Während er sie so liegen sah, inmitten dieses geschichtsträchtigen Raums, dieser mysteriösen und dramatischen Szenerie, drängte sich ihm der Gedanke auf, daß ihr Tod nur eine Art Theaterinszenierung sei. Gleich würde sie die Augen öffnen und lächelnd und quicklebendig aus dem Bett springen. Steh auf , befahl ihr seine innere Stimme, die es nicht wahrhaben wollte.
    Aber die Toten stehen nicht wieder auf, auch nicht zu Weihnachten.
     
    Zu der Frau im unteren Stockwerk – der Schwarzhaarigen mit dem zerknüllten Taschentuch – hatte sich inzwischen ein grobschlächtiger Mann in einem Schaffellmantel gesellt, der durch gewichtiges Herumstapfen einen furchtlosen Eindruck machen wollte. Sie seien

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