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Inspector Jury bricht das Eis

Inspector Jury bricht das Eis

Titel: Inspector Jury bricht das Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Nachbarin – die Dorfbibliothekarin, heißt Nellie Pond – weiß nicht viel mehr über sie, als daß sie vor ein paar Monaten das Haus gemietet hat. Die Pond hat ausgesagt –» er hielt einen der Berichte hoch –, «daß sie vor etwa einer Woche einen Streit im Hause Minton gehört habe.»
    «Hmm. Nun, wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne einigen Leuten ein paar Fragen stellen. Okay?»
    Cullens Kaubewegungen gingen in einen anderen, langsameren Rhythmus über, während er Jury mit argwöhnischer Miene beäugte, als habe er den Verdacht, daß dieser ihm etwas verheimlichte. «Was für Leute? Was für Fragen?»
    Jury lächelte. «Sobald ich die Leute finde, denk ich mir die Fragen aus.»
    Die mahlenden Kiefer des Sergeanten nahmen wieder ihren früheren Rhythmus auf, als Trimm hereinkam und meldete: «Die wußten nicht mal soviel, daß man einen Fingerhut damit füllen könnte, diese Magruders. Er ist der größte Doofkopp, den ich je …» Als er Jurys gewahr wurde, hielt er inne und bemühte sich, seine Überraschung – oder Verärgerung – darüber zu verbergen, daß Scotland Yard seinen großen Fuß immer noch in der Tür des Northumbria-Reviers hatte. Er war ein rundgesichtiger Mann mit dunklen stechenden Augen, die flink hin- und herschossen wie Elritzen in einem Fischteich. Trimm, dachte Jury, war wohl nicht gerade besonders helle. Cullen dagegen schon.
    «Werden Sie mir das Ergebnis der Autopsie mitteilen?» fragte Jury.
    Cullen musterte ihn mit einem bohrenden Blick, der durch den Schädel ins Hirn zu dringen schien. Er nickte. Trimm war offensichtlich erbost.
    «Solange auch Sie mich in Ihre kleinen Geheimnisse einweihen. Natürlich wäre da noch der Chief Constable. Aber ich denke, er wird mitspielen.» Cullen verschränkte die Arme und schob die Hände unter die Achselhöhlen. «Das letzte Mal, daß wir hier wichtigen Besuch hatten, war, als Jimmy Carter einen Baum auf dem Dorfanger gepflanzt hat, mit einem goldenen Spaten. Dann haben ihn irgendwelche Kerle geklaut. Den Baum, nicht den Spaten. Tja, hinterher wurde dann eben ein neuer Baum in das Loch gesteckt.» Cullens Mund verzog sich zu etwas, das entfernte Ähnlichkeit mit einem Lächeln hatte. «Sonst gibt’s hier nur Fußball und die Besäufnisse in den Dorfkneipen. Mögen Sie Fußball? Sunderland ist in der ersten Liga. Das Team von Newcastle in der zweiten.»
    Das Funkeln in seinen Augen schien anzudeuten, daß Mord hier ebenso zweitrangig war wie die Fußballelf von Newcastle.

3
    Der Priester hielt sein Messbuch fest in beiden Händen, als er auf dem verschneiten Weg zwischen Pfarrhaus und Kirche stehenblieb. Seine Lippen bewegten sich lautlos, vielleicht in einem stillen Gebet, vielleicht auch in stummer Unterhaltung mit einer räudigen Katze, die, den Bauch dicht am Boden, in sicherer Entfernung an ihm vorbeischlich, mißtrauisch gegenüber jedermann, ob Christ oder Heide.
    «Pater? Mein Name ist Jury.»
    Durch stahlgeränderte Brillengläser sah der kleine Priester erst zu ihm auf, dann herab auf die Katze. Ihr Fell hatte fast die gleiche schmutzigweiße Farbe wie die spärlichen Haarbüschel auf seinem Kopf, die wie der Kamm eines Kakadus aufragten. Die Katze beobachtete den Priester, der ein Stück Käse unter seiner Soutane hervorzauberte – ganz offensichtlich aus einer sehr staubigen Tasche – und es ihr zuwarf. Die Katze schnappte es und wand sich im Davonschleichen geschmeidig an einem Grabstein vorbei.
    «Ich weiß nicht, woher sie kommen, noch wohin sie gehen», sagte der Priester, den Blick suchend gen Himmel gewandt, als hoffte er, dort die Lösung des Rätsels zu finden. «Diese streicht schon seit Monaten hier herum. Aber sie ist noch genauso mißtrauisch wie zu Anfang. Sie sagten, Ihr Name sei Jury?» Er streckte Jury die Hand entgegen. «Ich bin Pater Rourke.»
    «Superintendent Jury, um genau zu sein.» Er reichte dem Priester seine Karte.
    «Oha, Scotland Yard?» Pater Rourkes Augenbrauen flatterten nach oben wie kleine Engelsflügel. Im Vergleich zu Trimm sprach er mit einem entschieden irischen Akzent. Ja, er stamme aus Kerry, antwortete er auf Jurys diesbezügliche Frage, und Jury fragte sich, ob unter der trüben Flut zahlloser Beichten das Blau des Himmels von Kerry in den Augen des Priesters verblaßt war.
    «Helen Minton», sagte Pater Rourke traurig, als Jury ihm erzählte, warum er gekommen war. «Ja, ich habe davon gehört. Auf dem Land verbreiten sich Neuigkeiten rasch. Aber bitte, kommen Sie doch

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