Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inspektor Jury schläft außer Haus

Titel: Inspektor Jury schläft außer Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
I Samstag, 19. Dezember

    Draußen vor der «Hammerschmiede» knurrte ein Hund.
    Drinnen in dem Vorsprung des Erkers, ohne auf die Dorfstraße blicken zu können, da ihm die Sicht durch das Fenster in Schulterhöhe versperrt wurde, saß Melrose Plant, trank Old Peculier und las Rimbaud.
    Der Hund gab ein tiefes, kehliges Knurren von sich und fing dann wieder an zu bellen; seit einer Viertelstunde ging das nun so.
    Die Sonne strömte durch das tiefe Blau und das satte Grün des Tulpenmusters der bleigefaßten Fensterscheiben und warf sämtliche Farben des Regenbogens auf den Tisch, während Melrose aufstand, um über die seitenverkehrten Buchstaben der Hardy-Crown-Reklame auf die Straße zu spähen. Der Hund, der vor dem Gasthof im Schnee hockte, war ein verwahrloster Jack Russell; er gehörte Miss Crisp, der Inhaberin des Trödelladens auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Normalerweise bellte er von dem Stuhl vor ihrer Tür herunter, heute hatte er jedoch die Straßenseite gewechselt, um sich vor der Hammerschmiede zu postieren. Er bellte weiter.
    «Dick, darf ich Sie auf diese eigentümliche Episode mit dem Hund während des Tages aufmerksam machen?»
    Dick Scroggs, der Wirt, der auf der anderen Seite des Raums den geschliffenen Spiegel hinter der Bar putzte, unterbrach seine Tätigkeit. «Was meinen Ihre Lordschaft?»
    «Nichts», sagte Melrose Plant. «Ich bediente mich nur der Worte Sir Arthurs.»
    «Sir Arthurs, Ihre Lordschaft?»
    «Conan Doyle, Sherlock Holmes, wenn Ihnen das ein Begriff ist.»
    Melrose nahm einen kräftigen Schluck von seinem Ale und widmete sich wieder Rimbaud. Aber er kam nicht weit, da sich gleich darauf wieder der Hund vernehmen ließ.
    «Oder warten Sie», sagte Melrose und klappte das Buch zu. «Ich glaube, die Episode mit dem Hund war nachts.»
    Scroggs fuhr mit seinem Lappen über den Spiegel. «Tag oder Nacht, ist ganz egal. Wenn der verdammte Köter nur aufhören würde. Dieser Mord bei Matchett hat mich schon genug Nerven gekostet, kommt man denn nie zur Ruhe!» Trotz seiner Größe und seines Umfangs war Dick das reinste Nervenbündel. Seit dem Mord in Long Piddleton blickte er ständig um sich und musterte mißtrauisch jeden Fremden, der die Hammerschmiede betrat.
    Es war der Mord, vermutete Melrose, der ihn an Conan Doyle erinnerte. Ein Mord, der tatsächlich begangen wurde, war weit weniger interessant als ein Mord in der Vorstellung. Aber er mußte zugeben, daß der Mord, der ihnen da beschert worden war, einen gewissen Reiz hatte: der Kopf des Opfers war in ein Bierfaß gesteckt worden.
    Der Hund bellte immer noch. Es war nicht das Bellen, mit dem Hunde über Zäune hinweg kommunizieren, und es war auch nicht besonders laut. Es war nur fürchterlich hartnäckig, als hätte sich dieser Köter den Platz vor der Hammerschmiede als Wachtposten auserkoren, um der Welt seine Hundebotschaft zu verkünden.
    Dick Scroggs schmiß sein Tuch auf den Boden und lief zu den Flügelfenstern hinter Plants Tisch, die zur Hauptstraße hinausgingen. Er stieß eines auf, und eine Handvoll Schnee wirbelte herein. Er brüllte den bellenden Hund an: «Ich komm gleich raus und tret dir deine dreckige Schnauze ein, du verdammter Köter. Warte nur!»
    «Wie unenglisch von Ihnen, Dick», sagte Plant, der die Goldrandbrille auf seiner wohlgeformten Nase zurechtrückte und sich wieder seiner Rimbaud-Lektüre zuwandte. Es war ein Geschenk, das er sich selbst zu seinem 40. Geburtstag gemacht hatte: eine frühe Ausgabe von Les Illuminations , für die er einfach lächerlich viel bezahlt hatte, aber er sagte sich, er habe es verdient, um sich gleich daraufhin zu fragen, wieso eigentlich.
    Scroggs Gebrüll bewirkte nur, daß das Gebell noch lauter wurde, denn der Hund glaubte, endlich die Aufmerksamkeit eines Menschen erregt zu haben, und wollte sie auf keinen Fall verlieren. Dick Scroggs stieß die Tür auf und ging nach draußen, um dem Hund zu beweisen, daß er es ernst meinte.
    Plant war es gerade gelungen, einen Teil von Enfance zu lesen, als er Scroggs keuchen hörte: «Um Himmels willen, kommen Sie schnell!»
    Plant blickte auf und sah den Kopf des Wirts im Rahmen des verschneiten Fensters. Das Gesicht war grau und gespenstisch, eine vergrößerte Version der Wasserspeier, die unter dem vorderen Balken hervorschauten und dem alten Gebäude ein kuriose kirchenähnliches Aussehen verliehen.
    Plant ging zur Tür. Draußen watete er durch knöcheltiefen Schnee bis zu der Stelle, wo Dick Scroggs und

Weitere Kostenlose Bücher