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Inspektor Jury steht im Regen

Inspektor Jury steht im Regen

Titel: Inspektor Jury steht im Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Dazu ist er …»
    Er merkte wohl erst in dem Moment, als die Worte heraus waren, was er gesagt hatte; denn er verstummte abrupt und kippte den Rest seines Wodkas hinunter.
    Da geht’s zum Teufel, sein Alibi, dachte sich Melrose.
     
     
    «I ST DAS DER G ARTEN , den Mr. St. Clair für den glücklichsten in ganz Sussex hält?» fragte Melrose. Sie waren ans Ende eines Pfades gelangt, der von Buchen umsäumt zu einem verwilderten Park führte. Der Park war auf einer Seite von einer langen, sich windenden, moosüberwachsenen und glyzinienbedeckten Mauer begrenzt, über der ein Baldachin aus Goldregen hing, von dessen Zweigen der Regen tropfte.
    Edward Winslow lachte. «Ja, das ist er. Vielleicht ist er ja größer als seiner, aber besonders beeindruckend ist er sicher nicht. Aber versuchen sie das mal Sinjin zu erzählen. Sobald ihm etwas gehört, wird es furchtbar. Eine geradezu blindwütige Bescheidenheit. Aber er ist ein netter Mann. Eigentlich bin ich selber überrascht, daß John es schafft, alles so gut in Schuß zu halten.» Ned deutete mit der Hand auf den Gärtner in der Ferne, der unermüdlich an einer Araukarie herumzuhacken schien. «Der alte Griesgram hält sich zwar für Gertrude Jekyll, aber er macht gute Arbeit. Sehen Sie die Gartenmauer da drüben?» Ned wies mit einem Kopfnicken zum Goldregenhain. «Das ist unser Privatfriedhof. Mehrere Großtanten und meine Großeltern sind dort begraben. Und Phoebe.»
    «Das muß ja ganz furchtbar gewesen sein.»
    Ned schwieg einen Moment und starrte auf den kleinen Friedhof. «Wir hatten Phoebe alle so gern.»
    «Das glaube ich Ihnen. Obwohl ich selber keine Kinder habe.»
    «Ich auch nicht. Meine Frau wollte keine. Rose machte sich nicht viel aus dem Leben hier auf dem Land. Eigentlich machte sie sich wohl auch nicht viel aus mir und der Anwesenheit meiner Mutter. Mutter kann manchmal, wie Sie sich vielleicht denken können, etwas Furchteinflößendes an sich haben. Aber sie hat sich nie eingemischt, nie. Es ist allein ihre Gegenwart. Wir sind Wachs in ihren Händen, wissen Sie.»
    Sein Ton verriet keinerlei Ressentiment. Melrose konnte sich sehr gut vorstellen, wie sie in Marion Winslows Händen zu Wachs wurden.
    «Eines Tages wachte ich auf», fuhr Ned fort, «und sie war verschwunden. Ich weiß nicht, wohin. Sie hatte mal von den Vereinigten Staaten und Kanada gesprochen. Aber sie machte sich nicht die Mühe, mir eine Nachricht zu hinterlassen. Ich habe also keine Ahnung, wo sie ist.»
    «Wohin bist du gegangen …?» Melrose mußte unwillkürlich an das Gedicht denken.
    Ned löste seinen Blick von den Gräbern und blickte zur Mauer und zum Himmel hinauf. «Sie hatte einen anderen, da bin ich mir sicher. Ich wußte nicht einmal, daß sie ihn trifft. Kannte ihn nicht einmal. So blind kann ein Dichter sein.»
    «Oder eine Ehefrau.» Ned Winslow vermittelte ihm den Eindruck eines Mannes, der die Vergangenheit akzeptiert hatte, wie man einen verpaßten Zug auf einer überflüssigen Reise akzeptiert. Immer würde er auf einem Bahnsteig stehen oder mit leeren Koffern durchs Leben reisen.
    Melrose hatte den schmalen Gedichtband mit sich herumgetragen und zog ihn jetzt aus der Tasche. Er blätterte rasch darin herum, bis er auf das von David erwähnte Gedicht stieß.
    «Es ist sehr altmodisch, wie David ja immer sagt. Hat Reim, Metrum, Quartette.»
    «Es läßt sich durchaus manches sagen zu dem, was Sie da als ‹altmodisch› bezeichnen. Hören Sie.» Melrose las:
     
    «Wohin bist du gegangen, Elizabeth Vere,
    Sofern von Garten und Blüte und Baum?
    Im Regen glänzt unser Bach …»
     
    Melrose blickte auf einen kleinen, teilweise vereisten Bach, der in der Nähe der Parkmauer dahinmäanderte. «Das klingt, als wäre dieser Garten damit gemeint. War es für eine bestimmte Person gedacht?» Er steckte das Buch wieder ein.
    Ned stand da und blickte stirnrunzelnd zum Buchenhain hinüber. «Ein Schriftsteller weiß doch nie genau, was er meint, oder? Vielleicht ist das ja die wirkliche Blindheit – etwas nicht zu wissen.» Er wechselte das Thema. «Wenn Sie David kennen würden, wüßten Sie, daß er dieses Mädchen nicht erdrosselt haben kann. Es gibt sowieso keinen Grund und kein Motiv. Ivy muß von einem Dieb oder dergleichen umgebracht worden sein. Halten Sie das nicht auch für das Naheliegendste?»
    Ned Winslow sah Melrose an, als sei er ein Zauberer, der schon das richtige Kaninchen aus dem Hut ziehen würde. «Wenn das stimmt, hat der Mörder wirklich nicht

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