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Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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einem Knall wieder zu.
    Trece rief ihm nach: »Bleib nicht zu lange dort drinnen. Sonst wirst du erfrieren.«
    Zu Veesey gewandt fügte er hinzu: »Dein Würfel ist dafür verantwortlich. Dieser Sh’san ist der mächtigste Beschützer, von dem ich je gehört habe. Dein psychologischer Wächter muß ein Genie gewesen sein. Und weißt du, was mit ihm los ist?« Er nickte in Richtung Tür. »Er hat es mir einst erzählt, wenn auch nur in Umrissen. Seine eigene Mutter hat ihn großgezogen. Er wurde im Asteroidengürtel geboren, und sie hat ihn nicht abgegeben.«
    »Du meinst, seine eigene, richtige Mutter?« fragte Veesey.
    »Ja, seine genealogische Mutter«, bestätigte Trece.
    »Wie schmutzig! « entfuhr es Veesey. »So etwas habe ich ja noch nie gehört.«
    Talatashar kam in die Kabine zurück und sagte zu keinem von ihnen ein Wort. Die Mutter blieb verschwunden.
    Aber Sh’san, der eidetische Mann, der dem Würfel einprogrammiert war, wachte weiter über alle drei.
     
    Drei Tage später erschien Marcia selbst, sprach mit Veesey eine halbe Stunde über ihre Abenteuer mit den Mondmenschen und verschwand dann wieder. Marcia gab niemals vor, wirklich zu sein. Sie war zu schön, um sich als real ausgeben zu können. Dichtes blondes Haar krönte einen wohlgeformten Kopf; dunkle Brauen wölbten sich über funkelnden braunen Augen; und ihr bezauberndes, keckes Lächeln erfreute Veesey, Trece und Talatashar. Marcia gab zu, daß sie die imaginäre Heldin einer spannenden Serie war, wie sie von den Dramawürfeln übertragen wurden. Talatashar hatte sich völlig beruhigt, seitdem Sh’sans Erscheinen das seiner Mutter gefolgt war. Er schien Furcht davor zu empfinden, diesem Phänomen auf den Grund zu gehen. Aber er versuchte es, indem er Marcia fragte.
    Sie antwortete ihm bereitwillig.
    »Was bist du?« wollte er wissen. Das freundliche Lächeln der gesunden Hälfte seines Gesichtes war furchterregender, als es ein finsterer Blick hätte sein können.
    »Ich bin ein kleines Mädchen, du Dummer«, erwiderte Marcia. »Aber du bist nicht wirklich«, beharrte er.
    »Nein«, gestand sie, »aber wie ist es mir dir?« Sie lachte ein glückliches, mädchenhaftes Lachen – das Kind, das einen verwirrten Erwachsenen mit seinem eigenen Paradoxon schlug.
    »Schau«, fuhr er fort, »du weißt, was ich meine. Du bist nur etwas, das Veesey in den Dramawürfeln gesehen hat, und du bist gekommen, um ihr imaginäre rote Schuhe zu schenken.«
    »Du kannst die Schuhe auch noch anfassen, wenn ich wieder fort bin«, gab Marcia zu bedenken.
    »Das bedeutet, daß der Würfel sie aus etwas gemacht hat, was sich auf diesem Schiff befindet«, erklärte Talatashar triumphierend.
    »Warum nicht?« nickte Marcia. »Ich kenne mich mit Schiffen nicht aus. Er schon, nehme ich an.«
    »Aber selbst wenn die Schuhe real sind – du bist es nicht«, fuhr Talatashar fort. »Wohin gehst du, wenn du uns ›verläßt‹?«
    »Ich weiß es nicht«, gab Marcia zu. »Ich bin hierhergekommen, um Veesey zu besuchen. Wenn ich fortgehe, werde ich, wie ich glaube, wieder dort sein, wo ich vorher war, bevor ich kam.«
    »Und wo war das?«
    »Nirgendwo«, sagte Marcia, und sie wirkte fest und real.
    »Nirgendwo? Also gibst du zu, daß du ein Nichts bist?«
    »Wenn du es möchtest, gerne«, entgegnete Marcia, »aber dieses Gespräch erscheint mir recht sinnlos zu sein. Wo bist du gewesen, bevor du hier warst?«
    »Hier? Du meinst auf diesem Schiff? Ich war auf der Erde«, antwortete Talatashar.
    »Bevor du in diesem Universum gewesen bist, wo warst du da?«
    »Ich war noch nicht geboren, also habe ich noch nicht existiert.«
    »Nun«, sagte Marcia, »genau so ist es bei mir, nur ein klein wenig anders. Bevor ich existierte, habe ich nicht existiert. Wenn ich existiere, bin ich hier. Ich bin ein Echo aus Veeseys Persönlichkeit, und ich helfe ihr, daran zu denken, daß sie ein hübsches junges Mädchen ist. Ich fühle mich so wirklich, wie du dich wirklich fühlst. Punktum!«
    Marcia wandte sich ab und erzählte weiter von ihren Abenteuern mit den Mondmenschen, und Veesey war fasziniert, all die Dinge zu hören, die man in der Version für die Dramawürfel nicht gebracht hatte. Als Marcia fertig war, schüttelte sie den beiden Männern die Hand, hauchte Veesey einen Kuß auf die linke Wange und schritt durch die Wand hinaus in die gähnende Leere des Weltraums, in der es allein die sternenlosen Rhomboiden der Segel gab, die den Blick auf einen Teil des Weltraums

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