Internat und ploetzlich Freundinnen
Tatsächlich. Sofie steht zwischen den lärmenden und lachenden Schülern im Eingangsbereich des Internats, einen kleinen Koffer neben sich, und macht einen total verlorenen Eindruck. Ihre langen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihr Gesicht ist blass und wirkt abwesend.
„Komm, wir sagen mal Hallo!“ Manu sprintet schon die Treppe hinunter.
Carlotta folgt ihr mit großen Schritten.
Unten angekommen bahnen sie sich einen Weg zu ihrer Mitbewohnerin und begrüßen sie stürmisch.
Sofie starrt durch sie hindurch, als würde sie sie nicht erkennen, bevor ein kleines Lächeln über ihr Gesicht huscht, das sofort wieder verschwindet.
„Bonjour“, sagt sie leise.
Carlotta zieht die Stirn kraus. Sofie hatte zwar noch nie ein überschäumendes Temperament, aber ein bisschen mehr Wiedersehensfreude könnte sie schon zeigen.
„Was ist los?“, erkundigt sie sich. „Wieso stehst du hier rum?“
Sofie antwortet nicht. Ihre Augen wandern langsam durch die Halle und bleiben an einem fernen, unsichtbaren Punkt hängen.
Carlotta wirft Manu einen fragenden Blick zu. Die lässt einen Zeigefinger in Schläfenhöhe kreisen.
„Ähm, wir wollten gerade unsere Bücher abholen“, versucht Carlotta es noch einmal. „Willst du mitkommen?“
„Nein“, haucht Sofie mit ihrem leichten Akzent. „Ich gehe zuerst auf die Zimmer.“ Sie nimmt ihren Koffer, lächelt Carlotta und Manu noch einmal zu und stapft ohne ein weiteres Wort davon.
„Was ist denn mit der los?“, fragt Manu.
„Ich hab keinen Schimmer“, antwortet Carlotta. „Wollen wir hinterhergehen?“
„Nix da!“, meint Manu und wickelt ihren zweiten Schokoriegel aus. „Sie scheint keinen Wert auf unsere Gesellschaft zu legen. Wir holen jetzt unsere Bücher, und danach gehen wir zum Abendbrot. Ich hab nämlich Hunger!“ Sie beißt demonstrativ in die süße Schokolade und hält anschließend Carlotta den Riegel unter die Nase. „Willst du mal abbeißen?“
„Nein, danke.“ Carlotta schaut Sofie hinterher, die die Treppe hinaufgeht, ohne sich noch einmal umzudrehen. Echt merkwürdig.
Manu zuckt gleichgültig die Achseln und schiebt sich den Rest der Schokolade zwischen die Zähne. Im Gegensatz zu Carlotta scheint sie sich wegen Sofies Verhalten keine Gedanken zu machen. „Komm endlich“, sagt sie und stapft schon voraus. „Oder willst du hier Wurzeln schlagen?“
Nachdem sie ihre Bücher in Empfang genommen und in den Schließfächern verstaut haben, gehen Carlotta und Manu in den großen Speisesaal, der im ehemaligen Rittersaal des Schlosses untergebracht ist. Viele Plätze an den langen Tischen sind bereits besetzt. Vor dem Büfett herrscht Gedränge. In der Luft liegt ein verführerischer Duft. Manu hebt die Nase und schnuppert wie ein Kaninchen.
„Ich wittere Pizza. Hier –“ Sie nimmt ein Tablett von einem hohen Stapel neben der Tür und drückt es Carlotta in die Hand. „Für mich bitte ein extragroßes Stück. Ich besorg uns inzwischen einen Platz.“
Bevor Carlotta etwas erwidern kann, verschwindet Manu im Gedränge. Carlotta seufzt. Irgendwie scheint es ihr persönliches Schicksal zu sein, den ersten Tag des neuen Schuljahres mit Anstehen zu verbringen!
Während sie das Tablett mit Tellern, Besteck und Servietten belädt und zwei Gläser Saft dazustellt, spürt sie plötzlich, wie hungrig sie ist. Leider ist die Schlange vor der Pizza-Ausgabe die längste des ganzen Büfetts. Es wird ewig dauern, bis sie dran ist. Sie überlegt, ob sie nicht auf Eintopf umschwenken soll – die Schlange vor dem Suppentopf ist deutlich kürzer –, aber nein, der Pizzaduft ist zu verlockend. Und außerdem verlangt ihr Magen inzwischen ziemlich laut nach fester Nahrung.
Das Mädchen vor ihr in der Schlange dreht sich um und kichert.
„Soll ich dich vorlassen?“, fragt es. „So wie dein Magen knurrt, scheint es ein echter Notfall zu sein!“
Upps, wie peinlich! Carlotta kennt Paula aus der Foto-AG. Sie macht tolle Naturaufnahmen.
„Nein, danke“, lacht Carlotta. „Ich werd’s überleben.“
Paula schiebt sich ein Stück weiter voran. „Hast du schon gehört? Aus unserer Foto-AG wird in diesem Schuljahr eine Multimedia-AG. Herr Frankenberg hat ein paar Videokameras für uns besorgt. Du bist doch wieder dabei, oder?“
Ach herrje! An die Arbeitsgemeinschaft hat Carlotta noch keinen einzigen Gedanken verschwendet. „Bis wann müssen wir uns denn eintragen?“, erkundigt sie sich.
„Bis morgen Mittag“, antwortet Paula.
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