Internat und ploetzlich Freundinnen
Schreibtisch. Eigentlich mag sie Sprachen. Englisch fällt ihr leicht, auf Latein freut sie sich. Im nächsten Schuljahr will sie noch Spanisch dazunehmen. Oder wird das vielleicht doch zu viel?
„Ach, das wird schon“, sagt sie optimistisch. „Das neue Schuljahr fängt schließlich gerade erst an.“
In den darauf folgenden Tagen hat Carlotta kaum noch Zeit zum Luftholen, geschweige denn, sich Sorgen um Sofies Magerwahn oder Manus Befehlston zu machen. Der Internatsalltag hat sie und ihre Mitbewohnerinnen fest im Griff.
Frau Potter hat ihrem Ruf alle Ehre gemacht und sich als strenge und humorlose Lehrerin entpuppt. Gleich in der ersten Stunde hat sie Zettelkästen und stapelweise Karteikärtchen verteilt, auf denen die Schüler in jeder Stunde den durchgenommenen Stoff notieren müssen. „Ebenso sämtliche Formeln und Gesetze“, hat sie gezischt. „Ich werde die Karten stichprobenartig auf ihre Vollständigkeit überprüfen und euer Wissen regelmäßig mündlich abfragen. Wiederholung und Vertiefung heißen die Zauberworte.“
Zauberworte? Carlotta ist sich nach den ersten Mathestunden ziemlich sicher, eine prächtige Karteikarten-Phobie zu entwickeln, die mit Zauberei wenig zu tun hat. Auch Latein ist viel schwerer, als sie es sich vorgestellt hat. Jeden Tag muss sie neue Vokabeln und Grammatik lernen und dann noch endlos deklinieren üben. Das neue Schuljahr hat es wirklich in sich. Manchmal wünscht sie sich eine Wundertaschenlampe, um ihre grauen Gehirnzellen ein bisschen zu erleuchten. Aber so was gibt’s wohl nicht. Oder doch? Schön wär’s.
Sogar Herr Dunker, ihr Sportlehrer, der wegen seiner hageren Statur von allen nur liebevoll „der Spargel“ genannt wird, verfolgt offenbar ehrgeizige Ziele. Seit der ersten Sportstunde des neuen Halbjahrs versucht er, aus der sechsten Klasse eine Riege von Meisterturnern zu machen. Sehr zu Carlottas Leidwesen, die außer ihren neuen Mathe-Kärtchen nichts so sehr hasst wie Bodenturnen, Barren und Reck-Akrobatik. Vom Schwebebalken mal ganz zu schweigen.
„Du brauchst viel mehr Spannung in der Bauchmuskulatur, Carlotta! So wird das nichts!“ Herr Dunker hüpft um sie herum wie ein Laubfrosch. Seine Stimme klingt verzweifelt, während er ihr zum x-ten Mal zu erklären versucht, was sie tun muss, um einen perfekten Aufschwung hinzukriegen. Vergeblich. Carlotta hängt an der Reckstange wie ein nasser Sack, den jemand zum Trocknen aufgehängt hat. Ihr Gesicht ist puterrot, und die bunte Spange, die eigentlich ihre widerspenstigen Haare im Zaum halten sollte, hat sich längst verabschiedet. Wieso sieht das bei den anderen so leicht aus?
Carlotta rollt mit den Augen und schickt ein vernehmliches Stöhnen in Richtung Spargel. Eigentlich ist sie kein bisschen unsportlich. Im Gegenteil, es macht ihr Spaß, sich zu bewegen, zu klettern und zu springen. Aber heute ist irgendwie der Wurm drin. Ihr tun die Arme weh. Lange kann sie sich garantiert nicht mehr halten. Sie spürt genau, wie ihre verschwitzten Finger langsam, aber sicher einer nach dem anderen von der Stange abrutschen. Dass Felix, Brendan und die anderen Jungs inzwischen Wetten darüber abschließen, ob sie den Aufschwung wider Erwarten doch noch schafft, ignoriert sie. Es ist auch so schon peinlich genug. Oberpeinlich sogar.
Nadine, Simone und das jüngste Mitglied des Barbie-Clubs, Vicky zu Gladewohld, stecken die Köpfe zusammen und kichern.
Carlotta wirft ihnen einen finsteren Blick zu. Sogar die drei blöden Blondies haben den Aufschwung geschafft. Alle haben ihn geschafft – außer Manu natürlich, die wegen ihres Armbruchs nicht mitturnen darf. Und außer ihr, Carlotta Prinz. Doch weder ihr bemitleidenswertes Äußeres noch ihr verzweifelter Augenaufschlag in Verbindung mit lautem Stöhnen können das Herz des Spargels erweichen.
„Versuch’s noch einmal“, bittet er sie fast flehend. „Dies ist eine Leistungskontrolle. Wenn du den Aufschwung nicht schaffst, muss ich die Übung als nicht bestanden bewerten.“
„Dann geben Sie mir doch eine Fünf“, will Carlotta erwidern, aber aus ihrer Kehle kommt nur ein heiseres Gurgeln, das an einen ertrinkenden Hamster erinnert, wie Felix überflüssigerweise bemerkt.
Herr Dunker bringt den Mitschüler mit einem vorwurfsvollen Blick zum Schweigen und wendet sich wieder Carlotta zu.
„Also, Carlotta …“, sagt er und macht ein optimistisches Gesicht. „Hopp, hopp!“
Manu sitzt auf einer Bank am Rand des Geräteparcours und reckt den
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