Internat und ploetzlich Freundinnen
Zimmer.
Sofie zuckt zusammen und haucht ein vorwurfsvolles „Mon Dieu!“.
Unbekümmert schlüpft Manu aus ihren Turnschuhen und kickt sie unter ihr Bett. An den Füßen trägt sie zwei verschiedenfarbige Socken – links eine gestreifte, rechts eine einfarbige. Es scheint sie nicht zu stören. Vielleicht ist es sogar Absicht?
Carlotta muss lachen.
„Ist was?“, fragt Manu.
„Nö, nichts“, kichert Carlotta.
Manu geht an ihren Schrank und nimmt eine Tasche heraus, die bis obenhin mit Süßigkeiten gefüllt ist. Zielstrebig angelt sie eine Tafel Schokolade und eine Packung Schokoküsse heraus. Aus einer zweiten Tüte befördert sie eine Flasche Cola ans Tageslicht.
„Hast du gar keinen Hunger?“, fragt sie Sofie. „Der Speisesaal hat für die Nachzügler heute ausnahmsweise länger auf. Die Pizza ist echt zu empfehlen.“
Sofie schüttelt den Kopf. Ihre Haare fallen wie ein Schleier bis auf ihre Schultern.
„Nein, danke“, erwidert sie. „Ich bin nicht hungrig.“
„Kapier ich nicht“, mümmelt Manu mit vollen Backen. Sie hat es sich auf ihrem Bett gemütlich gemacht und verdrückt einen Riegel Schokolade. „Ich könnte den ganzen Tag futtern.“ Sie rülpst laut und hält Carlotta die Cola hin. „Kannst du mal aufmachen?“ Als Carlotta keine Anstalten macht, ihr zu helfen, fügt sie ein freundliches „Bitte“ hinzu.
Carlotta öffnet die Flasche und gibt sie seufzend zurück. Offensichtlich bildet Manu sich wirklich ein, sie würde sie von vorne bis hinten bemuttern, nur weil sie einen Gipsarm hat. Sie will gerade erwidern, dass das so nicht geht, als Manu plötzlich ruft: „Mann, du bist ja dünn wie ein Zahnstocher!“
Sofie ist aufgestanden und hat sich vor das Fenster gestellt. Schweigend sieht sie hinaus in den Park. Die Abendsonne hängt wie eine dicke Orange über dem See. Anscheinend hat sie Manus Bemerkung gar nicht gehört.
„Du solltest echt was essen!“ Manu bricht noch einen Riegel Schokolade ab. „Sonst bist du bald weg!“
Carlotta gibt ihr absolut Recht. Im Gegenlicht vor dem Fenster sieht Sofie noch dünner aus als vorhin auf dem Bett. Sie scheint nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Und aus langen, blonden Haaren, hinter denen sie sich versteckt.
„Ich habe keine Appetit“, sagt Sofie leise. „Ich hab unterwegs was gegessen.“
Carlotta wirft Manu einen fragenden Blick zu. Doch die zuckt nur mit den Achseln.
Carlotta wendet sich wieder dem Reisetagebuch zu, als ihr Blick auf den neuen Stundenplan fällt, der zuoberst auf den Schulbüchern liegt.
„Hilfe!“, würgt sie hervor. „Wir kriegen Frau Potter in Mathe und Latein!“
„Wer ist Frau Potter?“, erkundigt Manu sich.
„Die mieseste, fieseste und schlimmste Lehrerin im ganzen Internat!“, stöhnt Carlotta. „Das haben jedenfalls zwei Mädchen aus der Foto-AG gesagt, die sie im letzten Schuljahr als Klassenlehrerin hatten. Die soll total streng sein und mit Wiederholungskärtchen arbeiten. Und zum Anfang jeder Stunde fragt sie erst mal den Stoff der vergangenen drei Jahre ab!“
„Was?“ Manu lacht. „Den hab ich doch schon längst wieder vergessen!“
„Nicht nur du“, grummelt Carlotta. Bisher hatte sie immer Glück mit ihren Lehrern. Sollte sich das jetzt etwa ändern? Frau Potter … ausgerechnet. Sie kennt die kleine drahtige Person nur vom Sehen. Muss sie die jetzt gleich in zwei Fächern haben? Das neue Schuljahr fängt echt gut an!
„Nehmt ihr eigentlich auch Latein?“
Sie hat lange darüber nachgedacht und sich schließlich für Latein als zweite Fremdsprache entschieden. Papa hat sich gefreut, weil er früher auch Latein hatte. Französisch könnte man später immer noch lernen, hat er gemeint. Und Spanisch. Und Russisch!
Manu nickt. „Klar. Ist zwar ziemlich tot, weil keine Socke das mehr spricht, aber irgendwie cool.“
„Ich hab Französisch gewählt“, sagt Sofie.
„Hätte ich an deiner Stelle auch“, meint Manu. „Ist immerhin so etwas wie deine Muttersprache.“
Sofie nickt.
„Das ist jetzt schon unsere zweite Fremdsprache“, sagt Carlotta nachdenklich. „Wahnsinn, oder?“
Manu nickt düster. „Mein Bruder hat gesagt, wir sind die Turbo-Abitur-Generation. Das, wofür andere Klassen neun Jahre Zeit hatten, müssen wir in acht Jahren lernen. Krass, oder?“
Carlotta stimmt ihr zu. „Ob so viel Input überhaupt gesund ist?“
„Bestimmt nicht“, ist Manu überzeugt. „Aber uns fragt ja keiner.“
Carlotta pinnt den Stundenplan über ihren
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