Intrusion
Protestgeheul, der Vater mit zornig blitzenden Augen und gefletschten Zähnen. Die Mutter entschied das Gerangel, indem sie dem Jungen einen Schlag auf den Arm versetzte und ihn krächzend wie eine Krähe ermahnte, dass Pa schließlich schwer arbeite und deshalb »ordentlich futtern« müsse. Der Sohn flennte erbärmlich. Mister Gorr schaufelte die »Innerei« in sich hinein.
Die Dame sog geziert an ihrem Strohhalm und hielt von Zeit zu Zeit eine Hand vor die gespitzten Lippen, wohl zur Erinnerung, dass Essensgeräusche nicht vornehm waren – auch wenn man sie in dem Geschmatze ringsum kaum gehört hätte. Soße bedeckte ihr Kleid und ihre Haare. Mit einem zufriedenen, schmallippigen Lächeln sah sie ihren Lieben beim Essen zu. Sie schien auf etwas zu warten.
Von Mister Gorr kam ein Rülpser in einer bestimmten Tonlage – vielleicht das Signal Ich bin satt , denn als sie es vernahm, erhob sie sich, blickte auf ihren Gemahl herunter, schob einen Finger unter die Schulterspange ihres Gewands und streifte den Träger ab. Eine pendelnde Brust kam zum Vorschein, sie allein frei von roter Soße und deshalb obszön weiß.
Mister Gorrs Fresserei endete mit einem Schlag. Seine Hände begannen zu zittern. Er stellte den riesigen schwarzen Kessel ab, atmete einige Male tief durch und brummte. Seine Augen weiteten sich. Mrs. Gorrs Teller segelte vom Tisch. Sein Brusthaar sträubte sich, die Muskeln schwollen an, und in einem Sprühregen aus roter Soße warf er sich in die Arme seiner Gemahlin. Ein kurzer Ringkampf, dann rollten sie von der Tischplatte und landeten auf dem Boden; der Tisch begann heftig hin und her zu schlingern. Teller und Bestecke flogen klirrend in alle Richtungen.
Ihren Sohn schien das alles nicht weiter zu kümmern. Er begriff nur, dass der halb volle Kessel im Moment unbewacht war. Also packte er ihn, hob ihn an die Lippen und schlang den Inhalt in sich hinein, vor Begeisterung stöhnend wie seine Eltern unter dem schlingernden Tisch.
Aden hatte mittlerweile den Eindruck gewonnen, dass die Geräusche und Gerüche dieses – Traums? – deutlich in eine Richtung wiesen. Ein lebendiger Mensch wäre erschüttert gewesen. So viel stand fest. Aber ein Toter würde auf keinen Fall diese schleichende Angst spüren, die ihm die Eingeweide zusammenzog, oder sich Gedanken über die Herkunft der Fleischbrocken in diesem verdammten Stew machen. Diese Leute, diese sonderbaren Wesen – war er etwa in einem Cartoon gefangen? Das hier konnte nicht das Jenseits sein. Nie und nimmer. Bitte, dachte er. Lass es nicht das Jenseits sein!
Immer noch schlingerte und rumpelte der Tisch. Mister Gorrs Keuchen steigerte sich zu einem seltsam schrillen, wütenden Hecheln. Mrs. Gorr gab ihm hin und wieder raue Anweisungen, aber die meiste Zeit stöhnte sie nur. Aden schüttelte sich und versuchte die Geräuschkulisse auszublenden.
Wie sollte er vorgehen? Konnte er noch Schmerz empfinden? Das war eine Schlüsselfrage. Seine Knie- und Knöchelgelenke hatten geknackt, als er die Treppe hinunterstieg, aber die Nerven waren noch nicht auf den Prüfstand gestellt worden. Mit einem Achselzucken rammte er den bloßen Fuß hart gegen den Wandsockel. Die Antwort kam umgehend: Schmerz einer völlig normalen, ganz und gar irdischen Sorte. Was die Angelegenheit natürlich erschwerte. Jedenfalls hatte er noch keine ideale Lösung, als der Schmerz zu einem dumpfen Pochen verebbt war. Also betrat er den Speisesaal, räusperte sich und sagte: »Hallo!«
Der Tisch hörte unvermittelt zu schlingern auf. Kurz darauf verstummte das Klappern und Klirren des Geschirrs. Über den Raum senkte sich die Stille eines Schlachtfelds unmittelbar vor dem ersten Schuss.
Der junge Sire Gorr starrte ihn mit weit offenem Mund an. Halb zerkaute Fleischbrocken klatschten zurück in die Schüssel. Aden räusperte sich erneut und sagte, diesmal lauter: »Hallo! Äh … Grüße von der Erde. Hi.«
Unter dem Tisch kam es zu einer Explosion, als Mister Gorr seine stürmischen Zärtlichkeiten vollendete. Er röhrte wie ein Drache. Der Tisch hob sich, kippte nach vorn und schlitterte durch den Raum. Die Schüssel des Sohnes flog an die gegenüberliegende Wand und zerschellte.
Mister Gorr zog hastig seine Hose hoch, erhob sich und warf einen Blick auf Aden. Seine Augen weiteten sich vor Staunen und – Furcht. Aden traute seinem Urteil nicht. Weshalb sollte dieser Hüne ihn fürchten?
Mrs. Gorr lag mit weit gespreizten Beinen am Boden. Ihr Kleid war bis über die
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