Irgendwann ist Schluss
sagt der, Mensch, da ham Se aber nen tollen Namen, Herr Erb, und das glaubst du nicht, Martin, da fragt der Papa den Erb, ob er mal probeliegen darf. Der Erb guckt den an, und der Papa sagt, ja, was denn!?, alles probiert man an, bevor man es kauft, Schuhe, Brillen, Kleider, nur das allerletzte Stück kriegt man ohne jede Anprobe, das will ich nicht, ich will doch wissen, wo ich reinkomme, wenn ich mal nicht mehr bin, und dann sagt der Erb, also probeliegen wär nicht üblich bei ihnen, und Papa sagt, ich kaufe nichts, was ich nicht vorher probiert habe, und da führt der Erb den in so einen Ausstellungsraum, da stehen ein paar Särge, Papa zeigt auf einen und sagt, kann ich da mal eben reinschlüpfen? Wenn Sie wollen, sagt der Erb und holt ein Höckerchen, und Papa steigt hoch und legt sich da rein, nee, sagt dein Vater, das ist aber unbequem, da hab ich ja gar keine Armfreiheit, ich stoße mit den Armen hier direkt an die Ränder, ja, sagt der Erb, Sie brauchen auch keine Armfreiheit mehr, wenn Sie hier drin liegen, das ist mir egal, sagt Papa, und überhaupt, wo ist der Alarmknopf, welcher Alarmknopf, fragt der Erb, der Alarmknopf, für wenn ich noch lebe, stellen Sie sich vor, ich wache hier drinnen auf, lebendig begraben, ich will einen Alarmknopf, sagt Papa, und der Sarg muss fünfzig Zentimeter breiter sein, und der Erb sagt, Sonderanfertigung, das kostet extra, das ist mir egal, sagt Papa, und ein Handy nehm ich hier nicht mit rein, stellen Sie sich vor, Sie wachen hier drinnen auf und haben kein Netz? Oder der Akku ist leer? Der eigene Akku ist noch voll, aber der Akku vom Handy ist leer! Ja, ich weiß auch nicht, was ich mit Papa machen soll, der hat manchmal so Aussetzer, ich hab den Erb angerufen und mich entschuldigt, ich sag, was meinen Sie, wie es hier zu Hause zugeht, nee, nee, aber der ist ganz klar, der Papa, dem fehlt nichts, der ist kerngesund, auch im Kopf, den haben sie schon dreimal untersucht, der macht das nur, um die Leute zu ärgern, und sein großes Vorbild ist Pastor Scherer.«
Nicht Pastor Scherer!, dachte ich, weil ich wusste, was jetzt kommen würde, aber meine Mutter redete ohne Punkt und Komma von Pastor Scherer, dem Original, der noch am Hochaltar Latein hatte beten müssen, die Messdiener links und rechts neben ihm, und nach der Messe ging der Scherer jeden Sonntag zu meinem Großvater zum Frühschoppen, und wenn mein Vater damals Messdiener war und neben dem Scherer am Hochaltar kniete, dann nuschelte der Scherer immer so leise, dass die Gemeinde kaum was hörte, die waren ja sowieso schon fast eingeschlafen, also gerade noch so laut murmelte der Scherer, dass mein Vater die Botschaft verstand, Benedictus sit Deus Pater, unigenitusque Dei Filius, Sanctus quoque Spiritus, apropos Spiritus, sag deinem Vater, der soll den weißen Korn kalt stellen, quia fecit nobiscum misericordiam suam , derselbe Pastor Scherer, der, wenn er die Beichte abnahm, den Leuten zurief, ihr kommt aus Sankt Bartholomäus, geht dorthin beichten, wo ihr gesündigt habt, jener Scherer, der einmal den Vorhang aufriss, raussprang aus dem Beichtstuhl und vor der versammelten Schlange der Übrigen – und damals haben noch viele Leute gebeichtet – laut rief: Mensch, Martha, das hätt ich dir nicht zugetraut!
»Musst du nicht kochen?«, unterbrach ich meine Mutter, um endlich zu einem Ende zu kommen.
»Nein, ich hab noch Gulasch im Kühlschrank mit Kartoffeln, die müssen weg, der Papa muss die Reste essen, ich sag immer zu dem, Mensch, wenn wir dich nicht hätten, müssten wir uns ein Schwein anschaffen.«
»Lass uns mal aufhören. Das wird sonst viel zu teuer für dich.«
»Was? Nein. Wir haben jetzt auch so eine Ratte, wie heißt die, die Dingens da, die flatrat, die flache Ratte. Wir können jetzt so lange telefonieren, wie wir wollen.«
»Ehrlich?«
»Ehrlich.«
»Das ist ja wunderbar«, sagte ich und tupfte mir den Schweiß von der Stirn.
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Anmerkungen
Die Erzählung Bischoff gegen BRD greift auf einen im Internet dokumentierten Rechtsstreit der Mülheimer Bürger-Initiativen aus dem Jahr 2002 zurück. Dort ging es um den geplanten Bau des Metrorapid NRW . Die Formulierungen der Anwalt-Briefe sind aus Seiten zitiert oder sinngemäß entnommen, die man unter www.mbi-mh.de findet.
Mit Blick auf die Erzählung Shot to Nothing danke ich dem Sportreporter Rolf Kalb für seine vorzügliche Snooker-Berichterstattung auf Eurosport.
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