Kesseltreiben
Eins
»Kessel? Wat is’ dat denn für ’ne Schnapsidee?«, ereiferte sich Ackermann. »Da haste die freie Auswahl, un’ du ziehs’ ausgerechnet in so ’n Kaff, wo einer dem andern innen Kochpott spucken kann.«
»Wieso regst du dich denn so auf? Du wohnst doch selbst in einem Dorf«, verteidigte Bernie Schnittges sich.
»Ha! Ich bin da ja auch geboren.« Ackermann hob den Zeigefinger. »Un’ dat is’ wat ganz anderes.«
Schnittges lachte. »In Kessel kenne ich ein paar Leute, und ich denke mir, da ist so ein Neuanfang ein bisschen leichter.«
»Ach wat!« Jupp Ackermann lehnte sich gegen den Kotflügel seines Autos und schlug bequem einen Fuß über den anderen. »Du kenns’ also jemand in Kessel. Erzähl ma’!«
Schnittges stand auf heißen Kohlen. »Ein anderes Mal gern, Jupp, aber jetzt muss ich wirklich los. Der Möbelwagen soll um fünf ankommen.«
Ackermann riss die Augen auf. »Wie, dein Umzug is’ schon dies’ Wochenende? Warum sags’ du denn nix? Man hilft doch gerne.«
»Das ist echt nett von dir, aber meine Geschwister kommen, da hab ich genug Hilfe. Viel zu tun gibt es sowieso nicht, ist ja ein Neubau.«
»Wenn du et sags’. Gib mir trotzdem ma’ deine Adresse. Dann spring ich morgen kurz bei dir rein. Vielleich’ is’ ja doch noch wat zu tun.«
»Seeweg 48d«, antwortete Schnittges und klopfte Ackermann kurz auf die Schulter. »Ich bin dann weg.«
Josef Ackermann schaute dem jungen Kollegen hinterher, wie er um die Ecke des Präsidiums zum Parkplatz lief, wo sein Wagen stand. Ein feiner Kerl, der Bernie. Er war jetzt seit fast fünf Monaten beim Klever KK11, hatte bisher aber noch täglich zwischen seiner Wohnung in Krefeld und dem Niederrhein gependelt.
Eigentlich hatte sich Ackermann selbst auf die freie Stelle bei der Mordkommission bewerben wollen, aber seine Frau hatte ihm die Idee ausgeredet. So war er dann doch beim Betrugsdezernat geblieben und mittlerweile ganz froh darüber. In seinem Bereich machte ihm keiner mehr was vor, und Guusje hatte recht: Mit über fünfzig musste man sich kein Bein mehr ausreißen.
Er wusste auch gar nicht, ob es ihm überhaupt gefallen hätte bei der Mordkommission, wo doch alles so anders geworden war.
Helmut Toppe, mit dem er immer am liebsten zusammengearbeitet hatte, war inzwischen Chef geworden und hatte mit der Ermittlungsarbeit nichts mehr am Hut, saß nun auch in einem anderen Trakt in einem schnieken Büro, und man bekam ihn kaum noch zu Gesicht.
Jetzt war Norbert van Appeldorn der Leiter der Truppe und seitdem noch komischer als früher. Nun ja, der musste sich wohl auch erst mal an den neuen Posten gewöhnen.
Und dann Astrid – ob die jemals wieder zur Kripo zurückkommen würde, stand in den Sternen. Für sie hatte man vor acht Wochen die kleine Engländerin eingestellt, mit der er noch nicht so recht warm geworden war.
Ackermann seufzte, er war bestimmt der Letzte, der etwas gegen Neuerungen hatte, aber so langsam wurde es sogar ihm ein bisschen zu viel.
Bernie Schnittges schloss die Haustür und atmete erleichtert auf – endlich Ruhe. Selbstverständlich war er froh, dass seine Geschwister ihm beim Umzug geholfen hatten, aber so eine geballte Ladung Familie war auch anstrengend.
Noch bevor gestern Nachmittag der Möbelwagen aus Krefeld angekommen war, hatten sie alle fünf bei ihm vor der Tür gestanden, jeder mit Isomatte und Schlafsack unter dem Arm. Und erst jetzt, sechsundzwanzig Stunden später, hatten sie entschieden, dass er nun allein klarkäme. Allerdings nicht, ohne Vorsorge zu treffen: Monika hatte ihm einen Auflauf da gelassen, damit er heute Abend nicht mehr kochen musste –»vierzig Minuten in den Ofen bei zweihundert Grad«, hatte sie ihm mindestens viermal eingebläut –, und Lara war nachmittags noch einkaufen gefahren und hatte dann seinen Kühlschrank gefüllt –»du willst doch wohl morgen nicht ohne Frühstück dastehen« . Verflixt, er hatte sie gar nicht gefragt, wo sie gewesen war. Gab es im Dorf einen Lebensmittelladen?
Er ging in die Küche und schaltete den Backofen ein. Hier sah es schon ganz heimelig aus. Gut, die Küchenzeile, die zur Hauseinrichtung gehörte, wirkte ein bisschen steril, aber das machte der alte Holzschrank, den er seiner Großmutter abgeluchst hatte, eindeutig wett, und die Kräutertöpfe auf der Fensterbank, die seine kleine Schwester Tonja mitgebracht hatte, sahen nicht nur nett aus, sondern rochen auch noch gut.
Er stieg die Treppe zum Wohnzimmer hinauf –
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