Irgendwann ist Schluss
Ich entschied mich für den Lochversuch, zielte, aber traf die Schwarze einen Hauch zu dünn. Sie blieb auf der Kante liegen. Mein Mörder brauchte nur noch einen Kindergartenstoß. Doch statt sacht zu tippen, bolzte er die Weiße auf die Schwarze, und die Weiße rutschte gemeinsam mit der Schwarzen ins Loch, ein übelstes Anfänger-Foul, und ich hatte gewonnen. Er legte den Queue auf den Tisch und sagte: »Sie können jetzt gehen!«
»Wohin?«, fragte ich.
»Nehmen Sie das Motorboot. Immer Richtung Westen.«
Ich verließ den Snookerraum, ging durchs Wohnzimmer, hörte noch einmal seine Stimme: »Ach!«, rief er.
Ich drehte mich um.
»Noch ein Wort.«
»Was denn?«
»Jetzt stehen Sie am richtigen Platz.«
»Bitte?«
»Ich denke, aus dem Snooker kommen Sie nicht mehr raus.«
Ich blickte nach unten, bemerkte, dass ich auf dem Plastik stand, sah, wie mein Mörder seine Pistole zog und abdrückte. Ich hörte den Shot to nothing. Er lochte sich in meine Brust. Es fühlte sich an wie ein Stoß. Keine Fortsetzung. Ich fiel zu Boden. Er trat zu mir. Ich lag in meinem Blut. Atmete stoßweise. Er fühlte meinen Puls. Noch wenige Schläge. Dann war es vorbei. Er drückte mir die Augen zu. Er rollte das Plastik zusammen. Ich bin jetzt zu Ende. Habe aufgehört, Ich zu sagen. Ich sagen zu können. Irgendwie unangenehm, die Lage.
Die Stimme
E s gäbe nicht den geringsten Grund, hier bei Ihnen aufzutauchen. Wenn da nur nicht diese Stimme wäre. Seit fünf Wochen diese Stimme. Immer dieselbe Stimme. Es gäbe nicht den geringsten Grund, denn ich war glücklich, Herr Mollenhaupt. Überglücklich. Wusste gar nicht, wohin mit dem Glück. Ich war so glücklich, dass es mir schon fast wehtat. Mein Glück war mit Händen zu greifen, mein Beruf, der Erfolg, der berufliche Erfolg steht über allem, das Erklimmen des Gipfels, höher hinauf geht es nicht mehr bei dem, was ich tue. Ich bin Innenarchitekt, das heißt, so nennen darf ich mich nicht, denn ich habe nicht den geraden Weg gewählt, habe keine dieser Fachhochschulen besucht, Kaiserslautern, Trier, Mainz, habe auch nicht an der Rhein-Sieg-Akademie für Realistische Bildende Kunst und Design studiert, ich bin kein Diplom-Ingenieur und erfülle nicht im Mindesten die Anforderung der Architektenkammer, mich Innenarchitekt nennen zu dürfen, ich habe mich hochgearbeitet, habe als Hilfskraft angefangen, als Bürobursche, kann man sagen, bis irgendwann, durch einen Zufall, aber das würde zu weit führen, jemand meinen, wie er sagte, Blick für die Bedürfnisse des Raums entdeckt hat, aber egal, er hat mich gefördert, auch ohne Studium, ich habe bei ihm gelernt, jahrelang, habe Karriere gemacht, Schritt für Schritt, von klein auf, immer weiter, immer höher, heute arbeiten vier Innenarchitekten für mich, und in meinem Büro bin ich zwar Chef, aber Innenarchitekt nennen darf ich mich nicht, und die vier Innenarchitekten arbeiten auch deswegen bei mir, damit draußen auf dem Büroschild das Wort Innenarchitekturbüro stehen darf, ohne dass der Verbraucherschutz uns abmahnt. Was ich sagen will, Herr Mollenhaupt: In gewisser Weise ähneln sich unsere Berufe. Ich stelle mir den Therapeuten als eine Art Innenarchitekten der Seele vor. Wir beide werden zu Hilfe gerufen, wenn das Licht der Fenster die Tiefe der Räume nicht ausreichend erhellt. Da kommen die Klienten und zeigen Ihnen den Zustand ihres Innenraums, sprechen darüber, was ihnen fehlt und was sie als überflüssig empfinden, und Sie, Herr Mollenhaupt, Sie sagen, vielleicht an dieser Stelle etwas Blaues, hier eine Pflanze, etwas Lebendiges, dieser Farbton muss vermieden werden, dort eine Lichtquelle, die Leute schauen sich ihr Innenleben an und denken, ja, das könnte man machen, hier einen Verdrängungsvorhang wegnehmen, dort einen Teppich hinlegen, um etwas zu verdecken, unsere Berufe ähneln sich, wir beide beschäftigen uns mit Fassadengestaltung und Kernsanierung, mit Bausubstanz und zeitloser Gestaltung der Hülle des Raums, wir beide sind immer auf der Suche nach neuen Innenraumkonzepten. Aber entschuldigen Sie, wenn ich so viel rede, ich rede deshalb so viel, weil ich die Stimme nicht hören will, und die Stimme kommt nur, wenn ich schweige. Also auch dann nicht immer, aber sagen wir so: Nur wenn ich schweige, kann die Stimme kommen. Wenn ich rede, nie. Aber es ist völlig unmöglich, vierundzwanzig Stunden zu sprechen, nein, irgendwann ist kein Speichel mehr da, man ist erschöpft, und dann schlägt sie manchmal
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