Irgendwo da draußen - Kriminalroman
nicht Privatdetektiv?«
»Romantische Menschen tun das noch heute.«
»Mit anderen Worten: Ich bin Ihnen zu keinerlei Auskunft verpflichtet.«
»Rechtlich nicht«, bestätigte ich. »Sie würden mir und Corinnas Familie einen Gefallen erweisen.«
Er schaute auf seine Armbanduhr. »Selbstmord ist an der Uni die häufigste Todesursache. Ich gebe Ihnen zwei Minuten. Fassen Sie sich kurz!«
»Ist Ihnen an Frau Lahrmanns Verhalten in den letzten Monaten etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«, nahm ich sein Angebot an.
Er betrachtete nachdenklich meinen Trenchcoat. »Retrospektiv gesehen, ja, sie wirkte unkonzentrierter als früher, schien die Freude an ihrem Thema verloren zu haben. Allerdings passiert das fast jedem Doktoranden irgendwann. Wir reden hier über eine Strecke von drei, vier Jahren. Da kommt es fast zwangsläufig mal zu einem Durchhänger.«
»Hat sie denn mit Ihnen über ihre Probleme gesprochen?«
»Nein, Herr …«
»Wilsberg.«
»Sehen Sie, wo wir schon bei romantischen Vorstellungen sind: Im neunzehnten oder früheren Jahrhunderten mag es ein sehr persönliches Verhältnis zwischen dem Doktorvater und seinen Doktoranden gegeben haben. In der heutigen Massenuniversität ist man froh, wenn einem zu dem Gesicht eines Studenten auch noch der Name einfällt. Corinna Lahrmann war eine überaus durchschnittliche Studentin. Sie berechtigte nicht zu der Hoffnung, dass sie meinen oder den Ruhm des Institutes mehren würde. Damit will ich nicht sagen, dass sie mir gleichgültig war. Ich habe sie fachlich beraten, soweit dies mein Zeitbudget zuließ. Schließlich bin ich nicht nur in der Lehre tätig, sondern auch in der Forschung, was mir sehr viel wichtiger ist. Wollte ich mich um die persönlichen Schicksale meiner Studenten kümmern, wäre ich Seelsorger oder Sozialarbeiter geworden. So, und damit sind die zwei Minuten um, Herr Wilsberg.«
»Ich danke Ihnen vielmals«, versicherte ich. »Wenn Sie, um Ihre Güte vollzumachen, mir noch gestatten würden, mich kurz Ihren Studenten vorzustellen …«
Er verzog grämlich das Gesicht. »Jetzt gehen Sie aber wirklich zu weit, Herr Wilsberg.«
»Keine Befragung, selbstverständlich«, zeigte ich mich unterwürfig. »Ich verteile meine Visitenkarten, und schon bin ich wieder weg.«
»Anscheinend habe ich heute meinen großzügigen Tag«, raunzte der Archäologe. »Na schön, kommen Sie!«
Einige Augenpaare hefteten sich neugierig auf mich, als ich hinter Ebertien den Raum betrat.
Der Professor begann, auf den Fußballen vor und zurück zu rollen, wobei er seinen Kugelbauch als Gegengewicht benutzte. »Guten Abend, meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen heute Abend keinen Gast mitgebracht, unser Besucher hat sich selbst eingeladen. Wie ich Ihnen bereits vor einigen Wochen mitteilte, hat sich Ihre Kommilitonin Corinna Lahrmann das Leben genommen. Die Selbsttötung eines jungen Menschen wird gewöhnlich als tragisch empfunden, vor allem die engsten Verwandten mögen sich nicht mit der banalen Erklärung des Lebensüberdrusses abfinden. Ein tieferer Sinn, so es ihn denn gibt, wirkt auf das eigene Gewissen beruhigend. Herr Wilsberg hier zu meiner Linken«, er machte eine Handbewegung, ohne mich anzuschauen, genauso gut hätte er auf eine dorische Säule hinweisen können, »geht professionell dieser Sinnsuche nach, um eine möglichst wertneutrale Formulierung zu wählen. Er ist Privatdetektiv und bittet Sie um Mitarbeit. Sollte Ihnen jedoch …«, Ebertien machte eine Pause und bedachte seine Studenten mit einem strengen Blick, »… etwas zum Tod von Corinna Lahrmann einfallen, behalten Sie es vorläufig für sich. Die Zeit ist mir zu kostbar, um ein Kolloquium über Lebensmüdigkeit abzuhalten. Bitte, Herr Wilsberg!«
»Vielen Dank, Herr Professor!«, verbeugte ich mich artig. »Ich fasse mich ganz kurz.« Dabei zückte ich einen Stapel Visitenkarten und ging von einem Tisch zum anderen. »Diejenigen von Ihnen, die engeren Kontakt zu Corinna Lahrmann hatten, möchte ich bitten, mich morgen oder in den nächsten Tagen anzurufen. Mich interessiert praktisch alles, was über reine Fachdiskussionen hinausging. Ich versichere Ihnen, dass ich die Informationen vertraulich behandeln werde, auf Wunsch können Sie auch anonym bleiben.«
Ein ganz in Schwarz gekleidetes Milchgesicht mit runder Nickelbrille nahm die Visitenkarte und schüttelte skeptisch den Kopf. »Da werden Sie wenig Glück haben. Corinna hatte hier keine Freunde. Nach den Seminaren ist sie sofort
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