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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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zwei nach den USA gehen werden), und der älteste Sohn ist bei ihr geblieben: von weitem, wenn er mit dem Vieh von der Weide kommt, sieht er wie ein Sechzehnjähriger aus, wenn er dann um die Hausecke herum in die Dorfstraße einbiegt, meint man, er müsse wohl um die Mitte der Dreißig sein, und wenn er dann am Haus vorbeikommt und scheu ins Fenster hineingrinst, dann sieht man, daß er fünfzig ist.
    »Er will nicht heiraten«, sagte seine Mutter, »ist es nicht eine Schande ?«
    Ja, es ist eine Schande. Er ist so fleißig und sauber, rot hat er das Tor angemalt, rot auch die steinernen Knöpfe auf der Mauer und ganz blau die Fensterrahmen unter dem grünen Moosdach, Witz wohnte in seinen Augen, und zärtlich klopfte er seinem Esel auf den Rücken.
    Abends, als wir die Milch holen, fragen wir ihn nach dem verlassenen Dorf. Aber er weiß nichts davon zu erzählen, nichts; er hat es noch nie betreten: sie haben keine Weiden dort, und ihre Torfgruben liegen auch in einer anderen Richtung, südlich, nicht weit entfernt von dem Denkmal des irischen Patrioten, der im Jahre 1799 gehenkt wurde. — »Haben Sie es schon gesehen ?« Ja, wir haben es gesehen — und Tony geht wieder davon, als Fünfzigjähriger, verwandelt sich an der Ecke in einen Dreißigjährigen, wird oben am Hang, wo er im Vorbeigehen den Esel krault, zum Sechzehnjährigen, und als er oben für einen Augenblick an der Fuchsienhecke stehenbleibt, für diesen Augenblick, bevor er hinter der Hecke verschwindet, sieht er aus wie der Junge, der er einmal gewesen ist.

6 Ambulanter politischer Zahnarzt
    »Sag mir einmal ganz offen«, sagte Padraic nach dem fünften Glas Bier zu mir, »ob du nicht alle Iren für halbverrückt hältst ?«
    »Nein«, sagte ich, »ich halte nur die Hälfte aller Iren für halbverrückt .«
    »Du hättest Diplomat werden sollen«, sagte Padraic und bestellte das sechste Glas Bier, »aber nun sag mir einmal wirklich offen, ob du uns für ein glückliches Volk hältst .«
    »Ich glaube«, sagte ich, »daß ihr glücklicher seid, als ihr wißt. Und wenn ihr wüßtet , wie glücklich ihr seid, würdet ihr schon einen Grund finden, unglücklich zu sein. Ihr habt viele Gründe, unglücklich zu sein, aber ihr liebt auch die Poesie des Unglücks — auf dein Wohl .«
    Wir tranken, und erst nach dem sechsten Glas Bier fand Padraic den Mut, mich zu fragen, was er mich schon so lange hatte fragen wollen.
    »Sag mal«, sagte er leise, »Hitler — war — glaube ich kein so schlechter Mann, nur ging er — so glaube ich ein wenig zu weit .« Meine Frau nickte mir ermutigend zu:
    »Los«, sagte sie leise auf deutsch, »nicht müde werden, zieh ihm den Zahn ganz .«
    »Ich bin kein Zahnarzt«, sagte ich leise zu meiner Frau, »und ich habe keine Lust mehr, abends in die Bar zu gehen: immer muß ich Zähne ziehen, immer dieselben, ich habe das satt .«
    »Es lohnt sich«, sagte meine Frau.
    »Hör gut zu, Padraic «, sagte ich freundlich, »wir wissen genau, wie weit Hitler ging, er ging über die Leichen vieler Millionen Juden, Kinder...«
    Padraics Gesicht zuckte schmerzlich. Er hatte das siebte Bier kommen lassen und sagte traurig: »Schade, daß auch du dich von der englischen Propaganda hast betören lassen, schade .«
    Ich ließ das Bier unberührt: »Komm«, sagte ich, » laß dir den Zahn ziehen; vielleicht tut’s ein bißchen weh, aber es muß sein. Danach erst wirst du ein wirklich netter Kerl sein; laß dein Gebiß berichtigen, ich komme mir sowieso schon wie ein ambulanter Zahnarzt vor .«
    »Mach voran«, sagte meine Frau, »red nicht so viel drumherum .«
    »Hitler war«, sagte ich, und ich sagte alles; ich war schon geübt, schon ein geschickter Zahnarzt, und wenn einem der Patient sympathisch ist, macht man es noch vorsichtiger, als wenn man aus bloßer Routine, aus nacktem Pflichtgefühl arbeitet. Hitler war, Hitler tat, Hitler sagte... — immer schmerzlicher zuckte Pads Gesicht, aber ich hatte Whiskey bestellt, ich trank Pad zu, er schluckte, gurgelte ein wenig.
    »Hat es sehr weh getan ?« fragte ich vorsichtig.
    »Ja«, sagte er, »das tut weh, und es wird ein paar Tage dauern, ehe der ganze Eiter raus ist .«
    » Vergiß nicht nachzuspülen, und wenn du Schmerzen hast, komm zu mir, du weißt, wo ich wohne .«
    »Ich weiß, wo du wohnst«, sagte Pad , »und ich werde bestimmt kommen, denn ich werde bestimmt Schmerzen haben .«
    »Trotzdem«, sagte ich, »ist es gut, daß er raus ist .«
    Padraic schwieg. »Trinken wir noch

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