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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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die Acht zu, und schon hat der Posten, der draußen vor der Tür steht, berichtet, daß der Dorfpolizist langsam heranschlendert: es gibt ja so Leute, die sonntags nachmittags Anfälle von schlechter Laune und Gesetzestreue haben.
    Wer sonntags kurz vor acht in einer Kneipe plötzlich vom »Schluß jetzt, bitte!« des Wirts überrascht wird, der kann sie alle hereinstürzen sehen, alle, die keine Säufer sind, denen aber plötzlich eingefallen ist, daß die Kneipe bald schließt und daß sie noch gar nicht getan haben, wozu sie möglicherweise gar keine Lust hätten, wenn es diese verrückte Bestimmung nicht gäbe: daß sie sich noch nicht betrunken haben. Fünf Minuten vor acht wird der Andrang dann enorm: alle saufen gegen den Durst, der vielleicht um zehn, um elf noch kommen kann, vielleicht aber auch nicht. Außerdem fühlt man sich verpflichtet, ein bißchen zu spendieren: da ruft der Wirt verzweifelt seine Frau, seine Nichten, Enkel, Großmutter, Urahne und Tante zur Hilfe herbei, weil er drei Minuten vor acht noch sieben Lokalrunden verzapfen muß: sechzig halbe Liter Bier, ebenso viele Whiskeys müssen noch ausgeschenkt, müssen noch getrunken werden. Diese Trinkfreudigkeit, diese Spendierfreudigkeit hat etwas Kindisches, hat etwas vom heimlichen Zigarettenrauchen derer, die sich ebenso heimlich, wie sie rauchen, erbrechen — und das Ende, wenn der Polizist Punkt acht an der Tür sichtbar wird, das Ende ist reine Barbarei: da stehen blasse, verbitterte Siebzehnjährige versteckt irgendwo im Kuhstall und schütten Bier und Whiskey in sich hinein, erfüllen die sinnlosen Spielregeln des Männerbundes, und der Wirt, der Wirt kassiert: Haufen von Pfundscheinen, klimperndes Silber, Geld, Geld — das Gesetz aber ist erfüllt.
    Der Sonntag ist jedoch noch lange nicht zu Ende: es ist Punkt acht — früh noch, und der Sketch, der nachmittags um zwei mit Seamus und Dermot gespielt wurde, kann jetzt mit beliebig großer Besetzung wiederholt werden: abends gegen Viertel nach acht, oben auf dem Berg: zwei Gruppen Betrunkener begegnen sich:
    um das Gesetz mit der Drei-Meilen-Bestimmung zu erfüllen, wechseln sie nur die Dörfer, nur die Kneipen. Viele Flüche steigen am Sonntag zum Himmel in diesem frommen Land, das zwar katholisch ist, aber nie von einem römischen Söldner betreten wurde: ein Stück katholisches Europa außerhalb der Grenzen des römischen Reiches.

14 Das neunte Kind der Mrs. D.

    Das neunte Kind der Mrs. D. heißt James Patrick Pius. An dem Tag, an dem es geboren wurde, wurde Siobhan , das älteste Kind der Mrs. D., ein Mädchen, gerade siebzehn; was aus Siobhan werden soll, ist schon geplant. Sie wird die Post übernehmen: den Klappenschrank bedienen, Gespräche aus Glasgow, London, Liverpool annehmen und vermitteln, Briefmarken verkaufen, Einschreibequittungen ausschreiben und zehnmal soviel Geld auszahlen, als eingezahlt wird: Pfunde aus England, gewechselte Dollars aus Amerika, Kinderzulagen, Prämien für Gälischsprechen, Renten. Sie wird jeden Mittag gegen eins, wenn das Postauto kommt, über einer Kerze den Siegellack erweichen und das große Siegel mit der irischen Leier auf den großen Briefumschlag prägen, der die wichtigsten Sendungen enthält; sie wird nicht — wie es ihr Vater tut — jeden Mittag mit dem Fahrer des Postautos ein Bier trinken, einen kurzen, spröden Schwatz halten, der mehr der Strenge einer Liturgie als der Männergeschwätzigkeit eines Thekengesprächs gleicht. Das also wird Siobhan tun: von morgens acht bis mittags zwei im Postbüro hocken, mit der Gehilfin zusammen, und abends wieder von sechs bis zehn, um den Klappenschrank zu bedienen; es wird ihr Zeit genug bleiben, Zeitung zu lesen, Romane, oder mit dem Fernglas auf die See zu blicken: die blauen Inseln aus zwanzig Kilometern Entfernung auf zweieinhalb heranzuholen, die Badenden am Strand aus fünfhundert Metern Entfernung auf sechzig: schicke Dublinerinnen und altmodische; Bikinis und Großmutters Badeanzug mit Krausen und Schürzen. Aber länger, viel länger als die kurze Badesaison ist die tote, die stille Zeit: Wind, Regen, Wind, nur selten ein Fremder, der eine Fünf-Pence-Briefmarke für einen Brief zum Kontinent kauft, oder gar einer, der Briefe von drei, von vier Unzen Gewicht per Einschreiben in Städte schickt, die München, Köln oder Frankfurt heißen; der sie zwingt, den dicken Posttarif aufzuschlagen und komplizierte Berechnungen anzustellen, oder gar Freunde hat, die sie zwingen, aus dem Code

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