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Irisches Tagebuch

Irisches Tagebuch

Titel: Irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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Heimatdorf entfernt ist, der kühle Trunk nicht zu verweigern sei. Seamus überlegt immer noch: die geographische Situation ist für ihn ungünstig — man kann sich den Ort, an dem man geboren wird, leider nicht aussuchen — , und Seamus hat das Pech, daß die nächste Kneipe nicht genau drei, sondern sechs Meilen weg ist — ein für einen Iren außergewöhnliches Pech, denn sechs Meilen ohne Kneipe sind eine Seltenheit. Sechs Meilen hin, sechs Meilen zurück — zwölf Meilen, mehr als achtzehn Kilometer für ein Glas Bier, und außerdem geht es noch ein Stück bergauf. Seamus ist kein Säufer, sonst würde er gar nicht so lange überlegen, sondern längst auf dem Fahrrad sitzen und lustig mit den Schillingmünzen in seiner Tasche klimpern. Er will ja nur ein Bier trinken: der Schinken war so scharf gesalzen, so pfefferig der Kohl — und steht es etwa einem Manne an, seinen Durst mit Brunnenwasser oder Buttermilch zu löschen? Er betrachtet das Plakat, das über der Stammkneipe hängt: ein riesiges, naturalistisch gemaltes Glas Bier, lakritzig dunkel und so frisch der bittere Trank und darüber der weiße, schneeweiße Schaum, der von einem durstigen Seehund aufgeleckt wird. A lovely day for a Guinness! O Tantalus ! Soviel Salz im Schinken, soviel Pfeffer im Kohl.
    Fluchend geht Seamus ins Haus zurück, holt das Fahrrad aus dem Schuppen, trampelt zornig drauflos. O Tantalus — und die Wirkung geschickter Reklame! Es ist heiß, sehr heiß, der Berg ist steil, Seamus muß absteigen, das Fahrrad schieben, er schwitzt und flucht: seine Flüche bewegen sich nicht in der sexuellen Sphäre wie die Flüche weintrinkender Völker, seine Flüche sind Spirituosentrinkerflüche, gotteslästerlicher und geistiger als die sexuellen Flüche, denn immerhin: in Spirituosen steckt Spiritus: er flucht auf die Regierung, flucht wahrscheinlich auch auf den Klerus, der dieses unverständliche Gesetz hartnäckig hält (wie der Klerus in Irland auch bei der Vergebung von Kneipenlizenzen, bei der Festlegung der Polizeistunde, bei Tanzvergnügen das entscheidende Wort spricht), dieser schwitzende durstige Seamus, der vor wenigen Stunden so ergeben und offensichtlich fromm in der Kirche gestanden und das Sonntagsevangelium gehört hat.
    Endlich erreicht er die Höhe des Berges: hier spielt nun der Sketch, den ich gerne schreiben möchte, denn hier begegnet Seamus seinem Vetter Dermot aus dem Nachbardorf. Dermot hat auch gesalzenen Schinken, gepfefferten Kohl gegessen, auch Dermot ist kein Trinker, nur ein Glas Bier will er gegen seinen Durst; auch er hat — im Nachbardorf — vor dem Plakat mit dem naturalistisch gemalten Glas Bier, dem genießerischen Seehund gestanden, auch er hat überlegt, hat schließlich das Fahrrad aus dem Schuppen geholt, es den Berg hinaufgeschoben, geflucht, geschwitzt — nun begegnet er Seamus: ihr Dialog ist knapp, aber gotteslästerlich dann saust Seamus den Berg hinunter auf Dermots Stammkneipe, Dermot auf Seamus’ Stammkneipe zu, und sie werden beide tun, was sie nicht vorhatten: sie werden sich sinnlos besaufen, denn für ein Glas Bier, für einen Whiskey diesen Weg zu machen, das würde sich nicht lohnen. Irgendwann an diesem Sonntag werden sie taumelnd und singend ihre Fahrräder den Berg wieder hinauf schieben, werden in halsbrecherischer Kühnheit den Berg hinuntersausen. Sie, die gar keine Säufer sind — oder sollten sie doch welche sein? — , werden Säufer sein, bevor es Abend geworden ist.
    Vielleicht aber entschließt sich Seamus, der nach zwei Uhr durstig auf dem Dorfplatz steht und den schleckenden Seehund betrachtet, zu warten, das Fahrrad nicht aus dem Schuppen zu holen; vielleicht entschließt er sich, seinen Durst — o welche Erniedrigung für einen rechten Mann! — mit Wasser oder Buttermilch zu löschen, sich mit der Sonntagszeitung aufs Bett zu hauen. In der drückenden Nachmittagshitze und Stille wird er eindösen, wird plötzlich erwachen, auf die Uhr blicken und voller Entsetzen — als sei der Teufel hinter ihm her — in die Kneipe gegenüber stürzen, denn es ist Viertel vor acht geworden, und sein Durst hat nur noch eine Viertelstunde Zeit. Schon hat der Wirt angefangen, stereotyp zur rufen: » Ready now , please ! Ready now , please ! — Schluß jetzt, bitte! Schluß jetzt, bitte !« Hastig und zornig, immer mit dem Blick auf die Uhr, wird Seamus drei, vier, fünf Glas Bier hinunterstürzen, etliche Whiskeys hinterherkippen , denn der Uhrzeiger rutscht immer näher auf

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