Irisches Tagebuch
über Bord gespült wurde, ausgetrocknet, weiß und so sauber: nur ein Zündholz an den Scheiterhaufen gehalten, und schon züngeln die Flammen hoch, und die Zeit, die Zeit zwischen fünf Uhr nachmittags und Mitternacht ist so schnell von der ruhigen Flamme des Feuers verzehrt; man spricht leise miteinander; wer hier schreien würde, kann nur eins von beiden sein: krank oder lächerlich. Am Kaminfeuer kann man hier die europäische Schule schwänzen, während Moskau seit vier, Berlin seit zwei, selbst Dublin schon seit einer halben Stunde im Dunkeln liegt: heller Schein liegt noch über der See, und der Atlantik trägt beharrlich Scholle um Scholle vom westlichen Vorwerk Europas weg; Geröll fällt ins Meer, lautlos tragen die Moorbäche dunkle europäische Erde in den Atlantik hinaus, in ihrem sanften Geplätscher schmuggeln sie krumenweise im Laufe von Jahrzehnten ganze Äcker hinaus in die offene See.
Die Schulschwänzer legen beklommen neuen Torf auf die Glut; sorgfältig geschichtete Brocken, die die mitternächtliche Dominopartie beleuchten sollen; langsam gleitet der Sucher über die Skala des Radioapparates, um die Uhrzeit abzufangen, aber nur Fetzen von Nationalhymnen werden aufgefischt: noch ist Polen nicht verloren — die Königin gesegnet — Maas und Memel, Etsch und Belt sind immer noch die Grenzen Deutschlands (das wird nicht gesagt und nicht gesungen, aber der unschuldigen Melodie sind diese Worte eingeprägt wie einer Drehorgelwalze) — immer noch hängen die Kinder des Vaterlands die Aristokraten an die Laterne; langsam glüht der grüne Sucher aus, und noch einmal leckt die Flamme am Torf hoch: eine Stunde Zeit liegt dort noch aufgeschichtet: vier Torfklumpen über dem Glutkern; der tägliche Regen kommt heute spät, fast lächelnd, leise fällt er ins Moor, ins Meer.
Das Motorengeräusch der heimfahrenden Gäste entfernt sich auf Lichter zu, die im Moor verstreut liegen, an schwarzen Hängen, die schon im tiefen Schatten liegen, während es am Strand und über der See noch hell ist; langsam nur schiebt sich die Kuppel der Dunkelheit auf den Horizont zu, schließt dann den letzten Spalt im Gewölbe, aber immer noch nicht ist es ganz dunkel, während es am Ural schon wieder hell wird, Europa ist nur so breit wie eine kurze Sommernacht.
13 Wenn Seamus einen trinken will...
Wenn Seamus (sprich Schämes ) einen trinken will, muß er sich wohl überlegen, für wann er sich seinen Durst bestellt: solange die Fremden im Ort sind (und es sind deren nicht in allen Orten), kann er seinem Durst einige Freiheit lassen, denn die Fremden dürfen trinken, wann immer ihnen Durst kommt, und so kann auch der Einheimische sich getrost zwischen sie an die Theke stellen, zumal er ja ein folkloristisches, den Fremdenverkehr förderndes Element ist. Nach dem 1. September aber muß Seamus seinen Durst regulieren. Die Polizeistunde ist werktags um 22 Uhr, das ist schon bitter genug, denn an warmen, trockenen Septembertagen arbeitet Seamus oft bis halb zehn, manchmal länger. Sonntags aber muß er sich zwingen, entweder bis nachmittags zwei Uhr oder zwischen sechs und acht Uhr abends durstig zu sein. Hat das Mittagessen lange gedauert, kommt der Durst erst nach zwei Uhr, so wird Seamus seine Stammkneipe geschlossen finden, den Wirt, auch wenn es ihm gelingt, ihn herauszuklopfen , sehr sorry finden und nicht im geringsten geneigt, für ein Glas Bier oder einen Whiskey fünf Pfund Geldstrafe, eine Fahrt in die Provinzhauptstadt, einen verlorenen Arbeitstag zu riskieren. Sonntags zwischen zwei und sechs haben die Kneipen zu schließen, und des Ortspolizisten ist man nie ganz sicher; es gibt ja Leute, die sonntags nach einem schweren Mittagessen Anfälle von Korrektheit bekommen und sich an Gesetzestreue besaufen. Aber auch Seamus hat ein schweres Mittagessen gehabt, und seine Sehnsucht nach einem Glas Bier ist keineswegs unverständlich, noch weniger sündhaft.
So steht Seamus fünf Minuten nach zwei auf dem Dorfplatz und überlegt. Das verbotene Bier schmeckt in der Erinnerung seiner durstigen Kehle natürlich besser, als leicht erhältliches Bier schmecken würde. Seamus denkt nach: es gibt einen Ausweg, er könnte sein Fahrrad aus dem Schuppen holen, die sechs Meilen zum Nachbardorf strampeln, denn der Wirt im Nachbardorf muß ihm geben, was ihm der heimatliche Wirt verweigern muß: sein Bier. Dieses abstruse Trinkgesetz hat die zusätzliche Floskel, daß dem Reisenden, der mindestens drei Meilen von seinem
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