IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)
erreichte. Er versuchte, in eines der Fenster hineinzuspähen, doch die Scheibe war so dreckig und das Glas so stumpf, dass man unmöglich mehr als einen schattenhaften Umriss ausmachen konnte, der ein Sofa hätte sein können. Gras und Unkraut ragten an den Mauern fast in Brusthöhe empor. Jack besorgte sich einen Ast, von dem er die vorstehenden Zweige abbrach, und benutzte ihn, um sich einen Weg durch das Dickicht zu bahnen. Indiana Jones. Stanley auf der Suche nach Livingstone.
Stille, klamme Nässe und die durch die Bäume verstärkte Abgeschiedenheit weckten in Jack eine zügellose Erregung, wie er sie seit seiner Kindheit nicht mehr verspürt hatte. Er begann leise eine dramatische Begleitmusik zu pfeifen, die seinen Fortschritt durchs Unterholz akustisch untermalte. Als er dabei ein Eichhörnchen aufschreckte, hielt er seinen Stock wie ein Gewehr vor sich und tat, als würde er auf das Tier schießen. Es flitzte panisch eine Eiche ganz in der Nähe hinauf. Kawumm! Kawumm! Kawumm!
Jack passierte die Tür, die einst zur Küche geführt haben musste. Der blaue Anstrich war längst abgeblättert. Er presste die Stirn gegen die Fenster und konnte eine riesige altmodische Küchenzeile und zwei geräumige Spülbecken mit nach oben ragenden Wasserhähnen ausmachen. An der Wand stand ein Schrank mit Glastüren, hinter denen sich noch immer flache Teller und Tassen stapelten.
Wie unheimlich! Es sah aus, als hätte jemand das Haus mit seinem kompletten Inventar überstürzt zurückgelassen – Möbel, Geschirr, Teppiche, alles war noch da! Auf dem Fensterbrett der Küche stand sogar eine gläserne Blumenvase mit einem Strauß vertrockneter Chrysanthemen darin.
Jack erreichte die Rückseite des Gebäudes. Über die gesamte Länge erstreckte sich ein mit schmiedeeisernen Gittern eingefasstes Gewächshaus. Das Metall schien völlig verrostet zu sein und Dutzende Scheiben waren zerbrochen. Auf dem Glasdach lag eine dicke Schicht aus Blättern und Erde. Vom Anbau führten Steinstufen in einen überwucherten Garten, durch den sich ein kleeblattförmiger Kiesweg wand. Die Blumenbeete waren verwahrlost, Unkraut hatte das Regiment übernommen. Eine Rosenpergola in der Mitte des Gartens war teilweise in sich zusammengefallen. Hinter den abgestorbenen Pflanzungen erhob sich das Gelände in mehreren terrassenförmig angelegten Stufen zum Wald hin. Ein Teilstück im Westen war als Tennisplatz angelegt worden. Daneben befand sich ein von Fliesen umgebenes Schwimmbecken.
Jack lief am Gewächshaus vorbei bis zum Tennisplatz. Der elende, kalte Sprühregen blies ihm durch das Tal entgegen. Jack schirmte mit den Händen das Gesicht ab, um seine Augen vor dem Wasser zu schützen. Fast fünf Minuten stand er einfach nur da und starrte in die Ferne. An einem Sommertag wäre der Blick auf den Wald sicher atemberaubend.
Über die nasse, grasbedeckte Böschung kämpfte er sich zu den Courts vor. Die verwitterten Tennisnetze hingen durch. In ihnen hatten sich Vögel verfangen und waren zu vertrockneten Kadavern erstarrt. Aber der rote Asphalt befand sich noch in erstaunlich guter Verfassung. Es würde nicht viel Arbeit bedeuten, den Platz wieder bespielbar zu machen.
Er näherte sich dem Schwimmbecken. Es war weiß gekachelt und am Rand befanden sich versiffte braune Weinrebenmuster aus der Zeit Eduards VII. Der Pool war zu gut einem Viertel angefüllt mit schwärzlich-grünem Wasser. Etwas schwamm direkt unter der Oberfläche, formlos und vage. Er versuchte es mit seinem Stock zu berühren, aber es war zu weit weg. Es wippte, tanzte und drehte sich im Wasser. Es konnte alles Mögliche sein.
Also irgendwie hat der Laden echt eine Menge Potenzial, dachte Jack, als er sich wieder aufrichtete und die Rückseite des Gebäudes in Augenschein nahm . Ein schönes Anwesen, größtenteils intakt. Eine umwerfende Lage. Ausreichend Platz für Sportanlagen. Wenn man es clever anstellt, könnte man das Areal zur schönsten Ferienanlage im gesamten Mittleren Westen aufpeppen.
Gemächlich schlenderte er über den Tennisplatz zurück zum Eingang des Haupthauses. In seinem Kopf formte sich eine Idee. Eine Geschäftsidee. Ein Traum von einer Karriere. Eine Vision, die ihn aus den Fängen der Stadt und seinem langweiligen Arbeitsalltag bei Reed Muffler & Tire befreien würde. Eine Idee, die Freiheit, Erfüllung, Prestige und Spaß versprach – alles auf einen Schlag.
Wenn das Gebäude schon so lange verwaist war, dann ganz offensichtlich deshalb, weil
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