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IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)

IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)

Titel: IRRE SEELEN - Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Masterton
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E I N S
    Er hatte den Blick nur für wenige Sekunden von der Straße abgewandt, um seine Santana-Kassette aus dem Handschuhfach zu fischen. Da nahm er aus dem Augenwinkel einen grau-weißen Umriss wahr, der aussah wie ein Kind im Regenmantel. Und es flitzte direkt vor ihm über die Straße.
    »Ah!«, schrie er und trat aufs Bremspedal, rutschte ab und versuchte es erneut. Sein Kombi schlitterte mit quietschenden Reifen über den rutschigen Asphalt. Das Auto ruckelte auf die mit Blättern übersäte Böschung zu und krachte dann gegen den Stamm einer dicken Eiche.
    Jack würgte den Motor ab und zitterte am ganzen Körper. Herrgott! Herrgott im Himmel!, dachte er.Sprühregen trommelte auf die Windschutzscheibe. Natürlich war Jack schnell gewesen. Mit fast 100 Kilometern pro Stunde hatte er bergauf geradewegs auf eine unübersichtliche Kurve zugehalten. Aber so schlecht war die Sicht nun auch wieder nicht – und sein Blick nur für den Bruchteil einer Sekunde zur Seite abgeschweift. Er konnte sich absolut nicht erklären, wie er ein Kind übersehen haben konnte, das vom Straßenrand auf die Fahrbahn gerannt kam.
    »Herrgott noch mal!«, fluchte Jack erneut. Seine Stimme klang schwach und wenig überzeugend. Er atmete tief durch, schnallte sich ab und stieg aus dem Auto. Es hatte sich einmal um 180 Grad gedreht und zeigte jetzt wieder in die Richtung, aus der Jack ursprünglich gekommen war, das Heck durch einen Baum völlig lädiert. Auf der Straße und im angrenzenden Wald war es merkwürdig still, jetzt, wo das Motorengeräusch verstummt war. Nichts zu hören, außer dem Regen, der von den überhängenden Bäumen tropfte, und dem gelegentlichen Ruf eines Vogels aus der Ferne.
    Wald, Wald, nichts als Wald. Sein Großvater hatte Wisconsin immer gehasst, besonders wegen der vielen Bäume. Der Vater seiner Mutter war Farmer gewesen und konnte ihnen lediglich in Form von Baumstümpfen etwas abgewinnen. »All diese verdammten Bäume!«, lamentierte er stets, selbst als er schon längst in Rente gegangen war.
    Jack schnaubte, schüttelte sich und sah sich seine Umgebung genauer an. Da lag kein Kind auf der Straße, Gott sei Dank, auch am Seitenstreifen konnte er keinen leblosen Körper erkennen. Kein grau-weißer, blutverschmierter Regenmantel in Sicht – ebenso wenig wie ein zerfetzter Turnschuh.
    Er stellte den Kragen seines Sakkos auf und bahnte sich einen Weg durch den Matsch. Dabei versuchte er tunlichst, seine neuen sattelbraunen Schuhe nicht dreckig zu machen. Dank des Gummis verschonte der Nieselregen die Reifenspuren. So konnte Jack genau erkennen, wo er auf die Bremse getreten und an welcher Stelle er ins Schlittern geraten war. Vier chaotische Muster, die an von krakeliger Kinderhand gezeichnete Achten erinnerten, hatten ihre Spuren auf dem Asphalt hinterlassen. Jack ging in die Hocke, um sie genauer zu inspizieren. Nichts deutete darauf hin, dass er jemanden angefahren hatte.
    Jack glaubte auch nicht wirklich daran, dass er einen Menschen erwischt hatte, denn außer der Kollision mit dem Baum ganz am Schluss hatte er keinen Zusammenprall wahrgenommen. Er drehte sich um, schirmte die Augen mit der Hand gegen den Regen ab und inspizierte die Vorderseite seines Kombis. Die Stoßstange war intakt, alle Leuchten funktionierten noch. Er konnte nur hoffen, dass er niemandem einen ordentlichen Stoß versetzt und ihn in hohem Bogen ins Dickicht befördert hatte. Man hörte ja schließlich immer wieder von Unfällen mit Fahrerflucht. Da lagen die Opfer nur wenige Meter von viel befahrenen Bundesstraßen entfernt im Unterholz und erfroren irgendwann jämmerlich.
    Er lief ein Stück der Straße ab, legte seine Hände trichterförmig um den Mund und rief: »Hallo? Ist da jemand? Hallo?«
    Jack hielt inne und lauschte. Der Vogel sang pii-juu, pii-wuu, dann pii-widdi . Der Regen fiel so sanft wie der Schleier einer sterbenden Braut hinab. Schwer zu glauben, dass Madison, die Hauptstadt des Bundesstaats Wisconsin, nur eine halbe Stunde Fahrt entfernt lag. Bis nach Milwaukee brauchte man von hier aus auch weniger als zwei Stunden.
    Weitere drei- oder viermal rief er: »Hallo?« Immer noch keine Antwort. Sein Herzschlag beruhigte sich allmählich wieder und sein Atem ging normal. Er fühlte sich ruhiger, zog ein Taschentuch heraus, wischte sich damit über die Stirn und putzte sich die Nase. Trotz der Kälte waren sein Hemd und seine Unterwäsche von Schweiß durchtränkt.
    War bestimmt ein Reh, oder? Vielleicht auch eine

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