Irrtum!: 50 Mal Geschichte richtiggestellt
Anschlägen eine »jüdisch-imperialistische« Verschwörung ausgemacht – entsprechend einem alten Klischee ohne jede Substanz.
Für jede dieser und alle weiteren Verschwörungstheorien zum 11. September gibt es eingehende Beweisführungen, die ihre Haltlosigkeit belegen. Und doch zeigen Umfragen, dass beispielsweise in den USA ein Drittel der Bevölkerung überzeugt ist, die Bush-Regierung habe die Anschläge inszeniert oder zumindest geschehen lassen. Hier soll es aber nicht um Behauptung und Gegenbeweis gehen, sondern um den Konstruktionsmangel solcher Verschwörungstheorien im Allgemeinen. Denn die Verschwörungstheorien um die Terroranschläge vom 11. September 2001 scheitern aus denselben Gründen wie andere Verschwörungstheorien auch. Vordergründig knüpfen sie eine möglichst lückenlose Kette angeblicher Beweise, deren Glieder sich aber als bloße Indizien entpuppen. Diese Indizien bestätigen sich zwar gegenseitig, der Indizienring aber wabert ohne gesicherte Verbindung zur Realität hoch über den bewiesenen Tatsachen. Angebliche seriöse Referenzen entpuppen sich als Luftnummern. Zweifel an der Tragfähigkeit der Theorien werden mit dem Argument zu entkräften versucht, die Lücken erklärten sich aus der Verschleierungstaktik der wirklichen Urheber. Gegenbeweise werden dagegen bezweifelt oder gleich ganz unterschlagen. Zu den Indizien gehört, neben dem großen Anteil bloßer Mutmaßungen wie die eben genannten, die Frage, wer den größten Nutzen aus dem Geschehen ziehen konnte – was nach Überzeugung der 9/11-Verschwörungstheoretiker die Bush-Regierung war. Im Grunde zerlegen die Theorien das Geschehen, also Vor- und Ablauf der Terroranschläge, in seine Einzelteile und setzen sie neu zusammen: Das Bild, das dabei entsteht, hat zwar mit der Wirklichkeit nicht mehr viel zu tun, aber es wirkt in sich stimmig.
Als Motivation der Verschwörungstheoretiker dient bestenfalls, frei nach den Panzerknackern aus Entenhausen, die Überzeugung, dass da »mehr dahintersteckt«, als die offizielle Erklärung hergibt – schlimmstenfalls aber der Versuch, aus Falschdarstellungen konkrete Vorteile zu ziehen. Richard A. Clarke, zur Zeit der Anschläge Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats der USA, bemängelte die innere Widersprüchlichkeit der Theorien: Einerseits halten sie die Regierung für so dumm, mit schlechter Planung und vermeintlichen Ungereimtheiten die Glaubwürdigkeit der eigenen Version zu gefährden. Andererseits trauen sie ihr zu, einen Betrug dieser Größenordnung auf die Beine zu stellen. Der US-amerikanische Linksintellektuelle Noam Chomsky sieht gar eine veritable Verschwörungsindustrie am Werk. Aber das erinnert fast schon wieder an eine eigene Verschwörungstheorie …
Irrtümer in der Geschichte haben die verschiedensten Ursachen, wie die 50 Beispiele dieses Buches gezeigt haben. Mal kommt es eher zufällig dazu, mal durch Nachlässigkeit, mal durch üble Nachrede. Mal ist die Klarheit eines theoretischen Modells attraktiver als die komplizierte Wirklichkeit. Dann wieder wird aus verschiedensten Gründen, seien es Hass, politische Vorteilsnahme oder ideologische Interessen, die Realität wider besseres Wissen passend gemacht. Moderne Verschwörungstheorien aber sind besonders perfide, weil sie eine rückhaltlos hinterfragende Haltung mimen, die sich der Wahrheit verpflichtet gibt, dann aber überaus kreativ und selektiv mit ebendieser umgehen.
Vergangenes lässt sich nicht lückenlos aufklären, egal, ob soeben geschehen oder vor Jahrtausenden. Denn das Gesamtbild jedes Moments übersteigt alles Fassungsvermögen, kein Betrachter, ob zeitgenössisch oder rückblickend, kann seinen Blick absolut objektiv und unbefangen darauf richten. Das darf aber Historiker nicht davon abhalten, mit einem Höchstmaß an Integrität die weitestgehende Rekonstruktion zu versuchen und bei immer neuen Versuchen zu immer neuen Erkenntnissen zu gelangen. Geschichte willentlich oder fahrlässig zu verfälschen, ist hingegen ziemlich schändlich.
Literaturhinweise
Matriarchat
Eller, Cynthia: Gentlemen and Amazons. The Myth of Matriarchal Prehistory, 1861–1900 , Berkeley 2011.
Fehlmann, Meret: Die Rede vom Matriarchat. Zur Gebrauchsgeschichte eines Arguments , Zürich 2011.
Mertens, Eva-Maria: »Der Mythos vom friedlichen Matriarchat«, Antje Hilbig/Claudia Kajatin/Ingrid Miethe (Hg.): Frauen und Gewalt. Interdisziplinäre Untersuchungen zu geschlechtsgebundener Gewalt in Theorie und Praxis,
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