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Irrungen, Wirrungen

Irrungen, Wirrungen

Titel: Irrungen, Wirrungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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einem.« Und dabei band sie den Hut ab und beschrieb Kreise damit, wie wenn es ihr Markthut gewesen wäre.
    Mittlerweile sank die Sonne hinter den Wilmersdorfer Kirchturm, und Lene schlug vor, aufzubrechen und den Rückweg anzutreten, »es werde so fröstlich; unterwegs aber wollte man spielen und sich greifen; sie sei sicher, Botho werde sie nicht fangen«.
    »Ei, da wollen wir doch sehn.«
    Und nun begann ein Jagen und Haschen, bei dem Lene wirklich nicht gefangen werden konnte, bis sie zuletzt vor Lachen und Aufregung so abgeäschert war, daß sie sich hinter die stattliche Frau Dörr flüchtete.
    »Nun hab ich meinen Baum«, lachte sie, »nun kriegst du mich erst recht nicht.« Und dabei hielt sie sich an Frau Dörrs etwas abstehender Schoßjacke fest und schob die gute Frau so geschickt nach rechts und links, daß sie sich eine Zeitlang mit Hilfe derselben deckte. Plötzlich aber war Botho neben ihr, hielt sie fest und gab ihr einen Kuß.
    »Das ist gegen die Regel; wir haben nichts ausgemacht.« Aber trotz solcher Abweisung hing sie sich doch an seinen Arm und kommandierte, während sie die Garde-Schnarrstimme nachahmte, »Parademarsch... frei weg«, und ergötzte sich an den bewundernden und nicht enden wollenden Ausrufen, womit die gute Frau Dörr das Spiel begleitete.
    »Is es zu glauben?« sagte diese. »Nein, es is
nicht
zu glauben. Un immer so un nie anders. Un wenn ich denn an meinen denke! Nicht zu glauben, sag ich. Un war doch auch einer. Un tat auch immer so.«
    »Was meint sie nur?« fragte Botho leise.
    »Oh, sie denkt wieder... Aber, du weißt ja... Ich habe dir ja davon erzählt.«
    »Ach,
das
ist es. Der. Nun, er wird wohl so schlimm nicht gewesen sein.«
    »Wer weiß. Zuletzt ist einer wie der andere.«
    »Meinst du?«
    »Nein.« Und dabei schüttelte sie den Kopf, und in ihrem Auge lag etwas von Weichheit und Rührung. Aber sie wollte diese Stimmung nicht aufkommen lassen und sagte deshalb rasch: »Singen wir, Frau Dörr. Singen wir. Aber was?«
    »Morgenrot...«
    »Nein, das nicht... ›Morgen in das kühle Grab‹, das ist mir zu traurig. Nein, singen wir ›Übers Jahr, übers Jahr‹ oder noch lieber ›Denkst du daran‹.«
    »Ja,
das
is recht,
das
is schön: das is mein Leib-und Magenlied.«
    Und mit gut eingeübter Stimme sangen alle drei das Lieblingslied der Frau Dörr, und man war schon bis in die Nähe der Gärtnerei gekommen, als es noch immer über das Feld hinklang »Ich denke dran... ich danke dir mein Leben« und dann von der andren Wegseite her, wo die lange Reihe der Schuppen und Remisen stand, im Echo widerhallte.
    Die Dörr war überglücklich. Aber Lene und Botho waren ernst geworden.
     
Zehntes Kapitel
     
    Es dunkelte schon, als man wieder vor der Wohnung der Frau Nimptsch war, und Botho, der seine Heiterkeit und gute Laune rasch zurückgewonnen hatte, wollte nur einen Augenblick noch mit hineinsehn und sich gleich danach verabschieden. Als ihn Lene jedoch an allerlei Versprechungen und Frau Dörr mit Betonung und Augenspiel an das noch ausstehende Vielliebchen erinnerte, gab er nach und entschloß sich, den Abend über zu bleiben.
    »Das is recht«, sagte die Dörr. »Und ich bleibe nun auch. Das heißt, wenn ich bleiben darf und bei dem Vielliebchen nicht störe. Denn man kann doch nie wissen. Und ich will bloß noch den Hut nach Hause bringen und den Umhang. Und denn komm ich wieder.«
    »Gewiß müssen Sie wiederkommen«, sagte Botho, während er ihr die Hand gab. »So jung kommen wir nicht wieder zusammen.«
    »Nein, nein«, lachte die Dörr, »so jung kommen wir nich wieder zusammen. Un is auch eigentlich ganz unmöglich, un wenn wir auch morgen schon wieder zusammenkämen. Denn ein Tag is doch immer ein Tag und macht auch schon was aus. Und deshalb is es ganz richtig, daß wir so jung nich wieder zusammenkommen. Und muß sich jeder gefallen lassen.«
    In dieser Tonart ging es noch eine Weile weiter, und die von niemandem bestrittene Tatsache des täglichen Älterwerdens gefiel ihr so, daß sie dieselbe noch einige Male wiederholte. Dann erst ging sie. Lene begleitete sie bis auf den Flur, Botho seinerseits aber setzte sich neben Frau Nimptsch und fragte, während er ihr das von der Schulter gefallene Umschlagetuch wieder umhing, »ob sie noch böse sei, daß er ihr die Lene wieder auf ein paar Stunden entführt habe. Aber es sei so hübsch gewesen, und oben auf dem Pedenhaufen, wo sie sich ausgeruht und geplaudert hätten, hätten sie der Zeit ganz

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