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Irrungen, Wirrungen

Irrungen, Wirrungen

Titel: Irrungen, Wirrungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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vergessen.«
    »Ja, die Glücklichen vergessen die Zeit«, sagte die Alte. »Und die Jugend is glücklich, un is auch gut so un soll so sein. Aber wenn man alt wird, lieber Herr Baron, da werden einen die Stunden lang un man wünscht sich die Tage fort un das Leben auch.«
    »Ach, das sagen Sie so, Mutterchen. Alt oder jung, eigentlich lebt doch jeder gern. Nicht wahr, Lene, wir leben gern?«
    Lene war eben wieder vom Flur her in die Stube getreten und lief wie getroffen von dem Wort auf ihn zu und umhalste und küßte ihn und war überhaupt von einer Leidenschaftlichkeit, die ihr sonst ganz fremd war.
    »Lene, was hast du nur?«
    Aber sie hatte sich schon wieder gesammelt und wehrte mit rascher Handbewegung seine Teilnahme ab, wie wenn sie sagen wollte: »Frage nicht.« Und nun ging sie, während Botho mit Frau Nimptsch weitersprach, auf das Küchenschapp zu, kramte drin umher und kam gleich danach und völlig heitern Gesichts mit einem kleinen, in blaues Zuckerpapier genähten Buche zurück, das ganz das Aussehen hatte wie die, drin Hausfrauen ihre täglichen Ausgaben aufschreiben. Dazu diente das Büchelchen denn auch wirklich und zugleich zu Fragen, mit denen sich Lene, sei's aus Neugier oder gelegentlich auch aus tieferem Interesse, beschäftigte. Sie schlug es jetzt auf und wies auf die letzte Seite, drauf Bothos Blick sofort der dick unterstrichenen Überschrift begegnete: »
Was zu wissen not tut

    »Alle Tausend, Lene, das klingt ja wie Traktätchen oder Lustspieltitel.«
    »Ist auch so was. Lies nur weiter.«
    Und nun las er: »Wer waren die beiden Damen auf dem Korso? Ist es die ältere oder ist es die junge? Wer ist Pitt? Wer ist Serge? Wer ist Gaston?«
    Botho lachte. »Wenn ich dir das alles beantworten soll, Lene so bleib ich bis morgen früh.«
    Ein Glück, daß Frau Dörr bei dieser Antwort fehlte, sonst hätt es eine neue Verlegenheit gegeben. Aber die sonst so flinke Freundin, flink wenigstens, wenn es sich um den Baron handelte, war noch nicht wieder zurück, und so sagte denn Lene: »Gut, so will ich mich handeln lassen. Und meinetwegen denn von den zwei Damen ein andermal! Aber was bedeuten die fremden Namen? Ich habe schon neulich danach gefragt, als du die Tüte brachtest. Aber was du da sagtest, war keine rechte Antwort, nur so halb. Ist es ein Geheimnis?«
    »Nein.«
    »Nun denn sage.«
    »Gern, Lene. Diese Namen sind bloß Necknamen.«
    »Ich weiß. Das sagtest du schon.«
    »... Also Namen, die wir uns aus Bequemlichkeit beigelegt haben, mit und ohne Beziehung, je nachdem.«
    »Und was heißt Pitt?«
    »Pitt war ein englischer Staatsmann.«
    »Und ist dein Freund auch einer?«
    »Um Gottes willen...«
    »Und Serge?«
    »Das ist ein russischer Vorname, den ein Heiliger und viele russische Großfürsten führen.«
    »Die aber nicht Heilige zu sein brauchen, nicht wahr...? Und Gaston?«
    »Ist ein französischer Name.«
    »Ja, dessen entsinn ich mich. Ich habe mal als ein ganz junges Ding, und ich war noch nicht eingesegnet, ein Stück gesehn: ›Der Mann mit der eisernen Maske‹. Und der mit der Maske, der hieß Gaston. Und ich weinte jämmerlich.«
    »Und lachst jetzt, wenn ich dir sage: Gaston bin
ich

    »Nein, ich lache nicht. Du hast auch eine Maske.«
    Botho wollte scherz- und ernsthaft das Gegenteil versichern, aber Frau Dörr, die gerade wieder eintrat, schnitt das Gespräch ab, indem sie sich entschuldigte, daß sie so lange habe warten lassen. Aber eine Bestellung sei gekommen, und sie habe rasch noch einen Begräbniskranz flechten müssen.
    »Einen großen oder einen kleinen?« fragte die Nimptsch, die gern von Begräbnissen sprach und eine Passion hatte, sich von allem dazu Gehörigen erzählen zu lassen.
    »Nu«, sagte die Dörr, »es war ein mittelscher; kleine Leute. Efeu mit Azalie.«
    »Jott«, fuhr die Nimptsch fort, »alles is jetzt für Efeu und Azalie, bloß ich nich. Efeu is ganz gut, wenn er aufs Grab kommt und alles so grün und dicht einspinnt, daß das Grab seine Ruhe hat und der drunter liegt auch. Aber Efeu in 'n Kranz, das is nich richtig. Zu meiner Zeit, da nahmen wir Immortellen, gelbe oder halbgelbe, und wenn es ganz was Feines sein sollte, denn nahmen wir rote oder weiße und machten Kränze draus oder auch bloß einen und hingen ihn ans Kreuz, und da hing er denn den ganzen Winter, und wenn der Frühling kam, da hing er noch. Un manche hingen noch länger. Aber so mit Efeu oder Azalie, das is nichts. Un warum nich? Darum nicht, weil es nich lange

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