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Irrungen, Wirrungen

Irrungen, Wirrungen

Titel: Irrungen, Wirrungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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dauert. Un ich denke mir immer, je länger der Kranz oben hängt, desto länger denkt der Mensch auch an seinen Toten unten. Un mitunter auch 'ne Witwe, wenn sie nich zu jung is. Un das is es, warum ich für Immortelle bin, gelbe oder rote oder auch weiße, un kann ja jeder einen andern Kranz zuhängen, wenn er will. Das is denn so für den Schein. Aber der immortellige, das is der richtige.«
    »Mutter«, sagte Lene, »du sprichst wieder soviel von Grab und Kranz.«
    »Ja, Kind, jeder spricht, woran er denkt. Un denkt einer an Hochzeit, denn redt er von Hochzeit, un denkt einer an Begräbnis, denn redt er von Grab. Un ich habe nich mal angefangen, von Grab un Kranz zu reden, Frau Dörr hat angefangen, was auch ganz recht war. Un ich spreche bloß immer davon, weil ich immer 'ne Angst habe un immer denke: ja, wer wird dir mal einen bringen?«
    »Ach Mutter...«
    »Ja, Lene, du bist gut, du bist ein gutes Kind. Aber der Mensch denkt un Gott lenkt, un heute rot un morgen tot. Un du kannst sterben so gut wie ich, jeden Tag, den Gott werden läßt, wenn ich es auch nich glaube. Un Frau Dörr kann auch sterben oder wohnt denn, wenn ich sterbe, vielleicht woanders, oder ich wohne woanders un bin vielleicht eben erst eingezogen. Ach, meine liebe Lene, man hat nichts sicher, gar nichts, auch nich mal einen Kranz aufs Grab.«
    »
Doch, doch
, Mutter Nimptsch«, sagte Botho, »den haben Sie sicher.«
    »Na, na, Herr Baron, wenn es man wahr is.«
    »Und wenn ich in Petersburg bin oder in Paris und ich höre, daß meine alte Frau Nimptsch gestorben ist, dann schick ich einen Kranz, und wenn ich in Berlin bin oder in der Nähe, dann bring ich ihn selber.«
    Der Alten Gesicht verklärte sich ordentlich vor Freude. »Na, das is ein Wort, Herr Baron. Un da hab ich doch nu meinen Kranz aufs Grab und is mir lieb, daß ich ihn habe. Denn ich kann die kahlen Gräber nich leiden, die so aussehn wie 'n Waisenhauskirchhof oder für die Gefangenen oder noch schlimmer. Aber nu mach einen Tee, Lene, das Wasser kocht un bullert schon, un Erdbeeren und Milch sind auch da. Un auch saure. Jott, den armen Herrn Baron muß ja schon ganz jämlich sein. Immer ankucken macht hungrig, soviel weiß ich auch noch. Ja, Frau Dörr, man hat ja doch auch mal seine Jugend gehabt, un wenn es auch lange her is. Aber die Menschen waren damals so wie heut.«
    Frau Nimptsch, die heut ihren Redetag hatte, philosophierte noch eine Weile weiter, während Lene das Abendbrot auftrug und Botho seine Neckereien mit der guten Frau Dörr fortsetzte. Das sei gut, daß sie den Staatshut zu rechter Zeit zu Bette gebracht habe, der sei für Kroll oder fürs Theater, aber nicht für den Wilmersdorfer Pedenhaufen. Wo sie den Hut denn eigentlich herhabe? Solchen Hut habe keine Prinzessin. Und er habe so was Kleidsames überhaupt noch gar nicht gesehn; er wolle nicht von sich selber reden, aber ein Prinz hätte sich drin vergaffen können.
    Die gute Frau hörte wohl heraus, daß er sich einen Spaß mache. Trotzdem sagte sie: »Ja, wenn Dörr mal anfängt, denn is er so forsch und fein, daß ich mitunter gar nicht weiß, wo er's herhat. Alltags is nich viel mit ihm, aber mit eins is er wie vertauscht un gar nich mehr derselbe, un ich sage denn immer: es is am Ende doch was mit ihm, un er kann es man bloß nich so zeigen.«
    So plauderte man beim Tee, bis zehn Uhr heran war. Dann brach Botho auf, und Lene und Frau Dörr begleiteten ihn durch den Vorgarten bis an die Gartentür. Als sie hier standen, erinnerte die Dörr daran, daß man das Vielliebchen noch immer vergessen habe. Botho schien aber die Mahnung überhören zu wollen und betonte nur nochmals, wie hübsch der Nachmittag gewesen sei. »Wir müssen öfter so gehn, Lene, und wenn ich wiederkomme, dann überlegen wir, wohin. Oh, ich werde schon etwas finden, etwas Hübsches und Stilles, und recht weit und nicht so bloß über Feld.«
    »Und dann nehmen wir Frau Dörr wieder mit«, sagte Lene, »oder bitten sie darum. Nicht wahr, Botho?«
    »Gewiß, Lene. Frau Dörr muß immer dabeisein. Ohne Frau Dörr geht es nicht.«
    »Ach, Herr Baron, das kann ich ja gar nich annehmen, das kann ich ja gar nich verlangen.«
    »Doch, liebe Frau Dörr«, lachte Botho. »Sie können
alles
verlangen. Eine Frau wie Sie.«
    Und damit trennte man sich.
     

Elftes Kapitel
     
    Die Landpartie, die man nach dem Wilmersdorfer Spaziergange verabredet oder wenigstens geplant hatte, war nun auf einige Wochen hin das Lieblingsgespräch, und immer, wenn

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