Irrungen, Wirrungen
anfangen. Ich war lange drüben in den States, und wenn auch drüben, geradeso wie hier, nicht alles Gold ist, was glänzt,
das
ist doch wahr, man lernt drüben anders sehen und nicht immer durchs selbe Glas. Und lernt auch, daß es viele Heilswege gibt und viele Glückswege. Ja, Herr Baron, es gibt viele Wege, die zu Gott führen, und es gibt viele Wege, die zu Glück führen, dessen bin ich in meinem Herzen gleicherweise gewiß. Und der eine Weg ist gut und der andre Weg ist gut. Aber jeder gute Weg muß ein offner Weg und ein gerader Weg sein und in der Sonne liegen und ohne Morast und ohne Sumpf und ohne Irrlicht. Auf die Wahrheit kommt es an, und auf die Zuverlässigkeit kommt es an und auf die Ehrlichkeit.«
Franke hatte sich bei diesen Worten erhoben, und Botho, der ihm artig bis an die Tür hin folgte, gab ihm hier die Hand.
»Und nun, Herr Franke, bitt ich zum Abschied noch um das eine: grüßen Sie mir die Frau Dörr, wenn Sie sie sehn und der alte Verkehr mit ihr noch andauert, und vor allem grüßen Sie mir die gute alte Frau Nimptsch. Hat sie denn noch ihre Gicht und ihre ›Wehdage‹, worüber sie sonst beständig klagte?«
»Damit ist es vorbei.«
»Wie das?« fragte Botho.
»Wir haben sie vor drei Wochen schon begraben, Herr Baron. Gerade heut vor drei Wochen.«
»Begraben?« wiederholte Botho. »Und wo?«
»Draußen hinterm Rollkrug, auf dem neuen Jakobikirchhof... Eine gute alte Frau. Und wie sie an der Lene hing. Ja, Herr Baron, die Mutter Nimptsch ist tot. Aber Frau Dörr,
die
lebt noch« (und er lachte), »
die
lebt noch lange. Und wenn sie kommt, ein weiter Weg ist es, dann werd ich sie grüßen. Und ich sehe schon, wie sie sich freut. Sie kennen sie ja, Herr Baron. Ja, ja, die Frau Dörr...«
Und Gideon Franke zog noch einmal seinen Hut, und die Tür fiel ins Schloß.
Einundzwanzigstes Kapitel
Rienäcker, als er wieder allein war, war von dieser Begegnung und vor allem von dem, was er zuletzt gehört, wie benommen. Wenn er sich, in der zwischenliegenden Zeit, des kleinen Gärtnerhauses und seiner Insassen erinnert hatte, so hatte sich ihm selbstverständlich alles so vor die Seele gestellt, wie's einst gewesen war, und nun war alles anders, und er hatte sich in einer ganz neuen Welt zurechtzufinden: in dem Häuschen wohnten Fremde, wenn es überhaupt noch bewohnt war, auf dem Herde brannte kein Feuer mehr, wenigstens nicht tagaus, tagein, und Frau Nimptsch, die das Feuer gehütet hatte, war tot und lag draußen auf dem Jakobikirchhof. Alles das ging in ihm um, und mit einem Male stand auch der Tag wieder vor ihm, an dem er der alten Frau, halb humoristisch, halb feierlich, versprochen hatte, ihr einen Immortellenkranz aufs Grab zu legen. In der Unruhe, darin er sich befand, war es ihm schon eine Freude, daß ihm das Versprechen wieder einfiel, und so beschloß er denn die damalige Zusage sofort wahr zu machen.
»Rollkrug und Mittag und pralle Sonne – die reine Reise nach Mittelafrika. Aber die gute Alte soll ihren Kranz haben.«
Und gleich danach nahm er Degen und Mütze und machte sich auf den Weg.
An der Ecke war ein Droschkenstand, freilich nur ein kleiner, und so kam es, daß trotz der Inschrifttafel »Halteplatz für drei Droschken« immer nur der Platz und höchst selten eine Droschke da war. So war es auch heute wieder, was mit Rücksicht auf die Mittagsstunde (wo die Droschken überall, als ob die Erde sie verschlänge, zu verschwinden pflegen) an diesem ohnehin nur auf ein Pflichtteil gesetzten Halteplatz kaum überraschen konnte. Botho ging also weiter, bis ihm, in Nähe der Van-der-Heydt-Brücke, ein ziemlich klappriges Gefährt entgegenkam, hellgrün mit rotem Plüschsitz und einem Schimmel davor. Der Schimmel schlich nur so hin, und Rienäcker konnte sich angesichts der »Tour«, die dem armen Tiere bevorstand, eines wehmütigen Lächelns nicht erwehren. Aber so weit er auch das Auge schicken mochte, nichts Besseres war in Sicht, und so trat er denn an den Kutscher heran und sagte: »Nach dem Rollkrug. Jakobikirchhof.«
»Zu Befehl, Herr Baron.«
»... Aber unterwegs müssen wir halten. Ich will nämlich noch einen Kranz kaufen.«
»Zu Befehl, Herr Baron.«
Botho war einigermaßen verwundert über die mit soviel Promptheit wiederkehrende Titulatur und sagte deshalb: »Kennen Sie mich?«
»Zu Befehl, Herr Baron. Baron Rienäcker, Landgrafenstraße. Dicht bei 'n Halteplatz. Hab Ihnen schon öfter gefahren.«
Bei diesem Gespräche war Botho eingestiegen,
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