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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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JONATHAN
FRANZEN
     
    FREIHEIT
     
    Roman
     
    Aus dem
Englischen von Bettina Abarbanell und Eike Schönfeld
     
    Die
Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel «Freedom»
     
    Geht
vereint,
    Ihr Schatzgewinner,
alle; euern Jubel
    Teilt allen
mit. Ich alte Turteltaube
    Schwing
mich auf einen dürren Ast und wein,
    Bis ich
gestorben bin, um meinen Mann,
    Der
niemals wiederkommt
    William Shakespeare, Das Wintermärchen
     
    GUTE NACHBARN
     
    D ie Meldungen über Walter Berglund wurden von der
Lokalpresse nicht aufgegriffen - er und Patty waren zwei
Jahre zuvor nach Washington gezogen und hatten für St. Paul inzwischen
keinerlei Bedeutung mehr -, aber die Bürger des aufstrebenden Viertels Ramsey Hill waren ihrer Stadt gegenüber nicht loyal genug, um nicht die New York
Times zu lesen. Einem langen und wenig schmeichelhaften Artikel
in der Times zufolge hatte Walter sein
Berufsleben dort in der Hauptstadt ziemlich verpfuscht. Seine früheren Nachbarn
hatten einige Mühe, die Eigenschaften, die ihm die Times zuschrieb
(«arrogant», «selbstherrlich», «moralisch korrumpiert»), mit dem großherzigen,
freundlichen, rotgesichtigen 3M -Angestellten
in Einklang zu bringen, den sie noch auf der Summit Avenue bei Februarschnee in die Pedale seines Pendlerfahrrads treten
sahen; es schien merkwürdig, dass Walter, der doch grüner war als Greenpeace
und selbst vom Land kam, nun in Schwierigkeiten stecken sollte, weil er
gemeinsame Sache mit der Kohleindustrie gemacht und Landbewohner schlecht
behandelt hatte. Andererseits, irgendetwas hatte mit den Berglunds ja schon
immer nicht ganz gestimmt.
    Walter und Patty waren die jungen Pioniere von Ramsey Hill gewesen - die ersten College-Absolventen, die sich ein Haus an
der Barrier Street kauften, nachdem der alte
Stadtkern von St. Paul drei Jahrzehnte zuvor auf den Hund gekommen war. Sie
zahlten so gut wie nichts für die viktorianische Villa und schufteten sich dann
zehn Jahre lang tot, um sie zu renovieren. Gleich am Anfang steckte irgendein
sehr zielstrebiger Mensch ihre Garage in Brand und brach zweimal ihren Wagen
auf, bevor sie es geschafft hatten, die Garage wieder aufzubauen. Das freie
Grundstück gegenüber wurde regelmäßig von sonnenverbrannten Bikern
heimgesucht, die dort Schlitz tranken, Knackwurst grillten und in den frühen
Morgenstunden die Motoren aufheulen ließen, bis Patty im Jogginganzug vor die Tür trat und sagte: «Also ehrlich, Leute,
wisst ihr was?» Patty machte
niemandem Angst, aber sie war in der Highschool und auf dem College eine
Ausnahmeathletin gewesen und so unerschrocken, wie es nur Sportler sind. Sie
konnte gar nichts dagegen tun, dass sie in der Nachbarschaft vom ersten Tag an
auffiel. Wenn diese große, aberwitzig junge Frau mit dem Pferdeschwanz ihren Buggy an Autowracks, zerbrochenen Bierflaschen und bekotztem Altschnee vorbeischob,
hätte man meinen mögen, sie trüge jede einzelne Stunde ihres Tages in den am Buggy hängenden Einkaufsnetzen mit sich herum. Hinter ihr sah man die von
Kleinkindern behinderten Vorbereitungen für einen Vormittag von Kleinkindern
behinderter Besorgungen liegen; vor ihr einen Nachmittag mit öffentlichem Rundfunk, Silver Palate- Vollwertkochbuch, Stoffwindeln,
Gipsmischung und Latexfarbe; dann Goodnight Moon und
schließlich Zinfandel. Sie war schon ganz das, was sich für den Rest der Straße
gerade erst anzubahnen begann.
    In den
allerersten Jahren, als man noch ohne schlechtes Gewissen einen Volvo 240
fahren konnte, bestand die kollektive Aufgabe in Ramsey Hill im Erlernen gewisser Lebenstechniken, die zu verlernen für die
eigenen Eltern Grund genug gewesen war, in die Vororte zu fliehen: etwa wie
man die örtliche Polizei dafür interessierte, tatsächlich ihre Arbeit zu tun,
wie man sein Fahrrad vor einem hochmotivierten Dieb schützte, wann der
Zeitpunkt gekommen war, einen Betrunkenen von den Terrassenmöbeln zu
vertreiben, wie man Wildkatzen dazu brachte, ihre Haufen in den Sandkasten
anderer Leute Kinder zu setzen, und woran man feststellte, ob eine staatliche
Schule so schlecht war, dass es gar nicht erst den Versuch lohnte, sich für sie
zu engagieren. Es gab auch aktuellere Fragen, etwa die, was von Stoffwindeln zu
halten war. Der Mühe wert? Und stimmte es, dass man Milch immer noch in
Glasflaschen geliefert bekommen konnte? Waren die Pfadfinder politisch
akzeptabel? Gehörte Bulgur wirklich auf die Speisekarte? Wohin mit alten
Batterien? Was tun, wenn eine mittellose Frau anderer ethnischer

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