Is Nebensaison, da wird nicht mehr geputzt: Urlaub in der Hölle
Zahnärzte sind selten dabei, aber ihr Mann war Norbert, der Lehrer – zwei Österreicher, Anton und Hans, ohne nähere Berufsangaben, aber mit ziemlicher Sicherheit auch Lehrer, ein Apothekerehepaar, Iris und Joachim, und eine Art Künstlerin, Ramona. Insgesamt waren es zehn Leute, dazu kam noch ich, der Jüngste.
Der Flug verlief ohne Zwischenfälle, und schließlich landeten wir nach gut neun Stunden auf dem Tribhuvan International Airport von Kathmandu. Der Flughafen hätte es damals verdient gehabt, als erster Kulturprogrammpunkt in allen deutschen Reiseprospekten mit Nepal-Angeboten Erwähnung zu finden. Ich hätte ihm sofort drei Sterne vergeben, für «besonders wertvoll», «bizarr» und «abgedreht». Auf Landeplätzen im fernen Asien wurde schon immer gern das Gepäck auf langen Tischen von professionellen Durchwühlern gefilzt. Das war normal, aber in Kathmandu gingen die Beamten noch einen Schritt weiter. Sie sortierten alles auf zwei Haufen. Auf dem einen lagen Taschenlampen, Taschenmesser, Rasierapparate mit und ohne Motor, Flachmänner, ordentliche Kugelschreiber – nicht die von Lehrern –, Erste-Hilfe-Pakete und Körperhygieneartikel der unterschiedlichsten Art. Auf dem anderen befand sich der wenig aussichtsreiche Rest. Nach dieser Feinsortierung fing der durchwühlende Uniformierte auf einmal aus heiterem Himmel zu lachen an, lachte weiter und weiter, immer noch grundlos, wobei er langsam, aber stetig sämtliche Teile des interessanten Stapels ohne Spur eines schlechten Gewissens in die Taschen seiner viel zu großen Armeejacke steckte. Das war Entwicklungshilfe in Reinkultur. Die Bedürftigen erhielten ohne Umwege, also direkt vom Spender, die wirklich wichtigen Dinge, wahrscheinlich auf Wunsch sogar mit Spendenquittung. Eine echte Win-win-Situation.
Nachdem wir unseren Dienst am Mitmenschen geleistet hatten, checkten wir im Hotel de l’Annapurna ein. Diese Fünf-Sterne-Herberge war das zentrale Auffangbecken aller Stretchhosen im Tal von Kathmandu. Am nächsten Tag wollten wir mit unserem ersten Programmpunkt starten: dem zweitägigen Ausflug in die Khumbu-Region von Nepal. Dort, auf knapp 4000 Metern über dem Meeresspiegel, im höchstgelegenen Hotel der Welt, hatten wir vor, im Everest View unsere zweite Nacht in Nepal zu verbringen. Was ich aus eigener Erfahrung versprechen konnte: Von jedem Zimmer gab es eine uneingeschränkte Aussicht auf den weltgrößten Felsklotz, den Mount Everest. Zu diesem sagenhaften Ort sollte uns eine Pilatus Porter bringen, ein einmotoriges Flugzeug.
Am Abend an der Hotelbar, die den vielversprechenden Namen «Yeti Bar» führte, sahen mich zehn muterprobte, aber ratlose Bergbewunderer in spe an, bis sie die für sie anscheinend lebenswichtige Frage stellten: «Was, bitte schön, soll man am Mount Everest anziehen?» Mir gingen andere Dinge durch den Kopf: Würden die einzelnen Teilnehmer die große Höhe vertragen? Würde das Wetter mitspielen? War der Pilot pünktlich? Doch laut sagte ich: «Zwei Hosen übereinander, und oben herum alles, was geht.» Es war verboten, in eine Pilatus Porter Gepäck mitzunehmen. In diese Maschine passte nur eine bestimmte Anzahl von Passagieren, genauer gesagt fünf, höchstens sechs, und ein paar Säcke mit Proviant fürs Hotel. Aus diesem Grund musste der Pilot bei elf Leuten zweimal fliegen.
Vom lauten Schrillen meines Weckers wurde ich wach. Ich hatte ihn auf halb sechs gestellt, da ich noch einmal ausgiebigst warm duschen wollte. Ich wusste eben, was mich am Mount Everest erwartete.
Es war der 22. Dezember, null Grad, neblig und gerade einmal sieben Uhr, als uns schließlich ein bestellter Fahrer mit seinem Minibus vor der garagenähnlichen Abflughalle des Domestic Airports von Kathmandu absetzte. Die Augen hatte noch niemand so recht offen, auch nicht die Flughafenangestellten. Die hatten alle ein Glas süßen Milchtee in der einen Hand und in der anderen eine Zigarette, Marke Yak. Fast lässig sah das aus, wohingegen meine zehn Freunde schon etwas seltsam anmuteten, wie sie da mit all ihren Klamotten am Leib mehr oder weniger unbeweglich herumstanden. Doch der Flughafen war unbeheizt, so konnte trotz der Verpackung nur wenig Angstschweiß austreten. Und nervös war meine gesamte Gruppe, denn ein Flug in den Himalaya war selbst für erfahrene Reiseprofis keine Routine.
Sechzig Minuten mussten wir warten, bis etwas passierte. Die kleinen Propellermaschinen, ob ein- oder zweimotorig, dürfen nur auf Sicht
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