Isegrim
dieser junge schwarze GI, der meiner GroÃmutter schöne Augen machte, war ihm gerade recht.« Brigitta legt ihre Hand auf die von Marie. »Möchtest du selbst weitererzählen, GroÃmutter?«
Marie Scherer hebt den Kopf und blickt mich aus ihren hellen Augen an. »Viele Jahre nach dem Krieg hörte ich durch Zufall, wie der stockbetrunkene Otto sich im âºJägerhofâ¹ damit brüstete, Tomasz das Messer gestohlen und den amerikanische Soldaten damit erstochen zu haben. Ich hatte also von Anfang an recht gehabt mit meiner Vermutung. Otto Grimmer war der Mann mit der schwarzen Seele.«
Ich ziehe scharf die Luft ein. Wie muss das für Marie gewesen sein, jahrelang nur wenige Schritte von jenem Mann entfernt zu leben, der ein Mörder war und der ihre Liebe zerstört hat?
Sie hat es gewusst und nichts getan, denke ich, aber ich schweige. Die Tatsache, dass mein Opa August unter jenen Männern war, beschäftigt mich sehr.
»Mein Mann, Helmut«, sagt Marie mit müder Stimme, »war damals schon krank und ich wollte ihm das Leben nicht noch schwerer machen. Wäre ich zur Polizei gegangen, hätte ich aussagen müssen, dass ich mit Tomasz in der Tatnacht zusammen war und dass Brigitta seine Tochter ist. Ein paar Wochen später fand man dann die Reni ertrunken im See und ihre Mutter wurde verrückt vor Trauer. Otto musste sich um seine beiden Jungen kümmern. Ich wollte Rudi und Hans nicht den Vater nehmen.«
Während ich Maries Worten lausche, muss ich daran denken, dass man Otto Grimmer zwar nie vor Gericht gestellt und verurteilt hat, dass er dennoch für seine feige Tat hat büÃen müssen. Das Leben hat ihn bestraft.
In diesem Moment habe ich das Gefühl, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fügen sich in die Zeit, in einem Muster, das nie ganz zu durchschauen ist. Und Olek und ich, wir sind ein Teil davon. Wir sind zwei Fäden, die das Muster mitgestalten.
Die vergangenen Wochen haben mich vieles gelehrt: dass Angst ein wichtiger Teil des Lebens ist, denn wer sich nicht fürchtet, übersieht Gefahren. Dass man die Vergangenheit verstehen muss, um in der Gegenwart die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Dass es verschiedene Arten von Finsternis gibt. Eine, in der man alles schwarz sieht â das ist die Finsternis des Todes, sie ist endgültig und für immer. Und die andere Finsternis, die hinter jeder StraÃenecke lauert, hinter jedem Hass und jedem neuen Tag. Diese Finsternis wird es immer geben, sie ist ein Teil des Lebens. Aber man kann durch sie hindurchgehen.
Als Olek mich in der Dämmerung nach Hause bringt, kommt plötzlich ein Fuchs unter dem Zaun von Erna Euchler hervor und schnürt über die StraÃe. Er hat einen roten Gummischuh im Fang und flüchtet sich in die Hecke am wilden Garten.
»Der Schuhdieb«, flüstere ich.
»Ja«, sagt Olek. »Nun hast du ihn endlich auch gesehen.«
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