Von Hundert auf Gluecklich - wie ich die Langsamkeit wiederentdeckte
|11| VORWORT
Haben Sie schon einmal versucht, langsamer zu werden? Haben Sie Menschen aus Ihrer näheren Umgebung erzählt, dass Ihnen seit einiger Zeit alles zu schnell geht und Sie daher bewusst einen Gang heruntergeschaltet haben? Haben Sie zugegeben, Sie könnten eigentlich recht schnell rechnen, schreiben, lesen, sich rasch bewegen und dabei auch noch telefonieren, aber – Sie wollten das nicht mehr? Sie sähen keinen Sinn mehr in der Schnelligkeit?
Nun, ich habe das ausprobiert. Ich habe mich in einem Selbstversuch bemüht, mein Lebenstempo über einen Zeitraum von sechs Monaten jeden Tag ein wenig zu reduzieren. Ich habe mich erst langsamer bewegt, mich dann bemüht, langsamer und gesünder zu essen, die Zahl meiner Termine zu reduzieren und nicht mehr tausend Dinge gleichzeitig zu machen. Eines kam zum anderen und verstärkte das Vorausgegangene zusätzlich. Und es ist mir tatsächlich gelungen. Ich bin ruhiger geworden, ja, insgesamt gelassener. Ich habe jetzt mehr Zeit zu lesen und nachzudenken. Mir kommen wieder gute Ideen. Ich halte öfter inne, vor allem, wenn gerade ein dringender Termin ansteht und ich besonders pünktlich sein müsste. Ich nehme lieber weniger Verabredungen an und kann mich der einzelnen Begegnung dafür stärker widmen, ich verzichte auf Quantität und ernte dafür Qualität. Die Dinge, die ich tun muss, verlieren dadurch den Charakter einer hektisch abgearbeiteten To-do-Liste. Sie sind meine Arbeit, die mich stolz macht, wenn sie |12| geschafft ist. In den Situationen, die ich genießen möchte, wie das Spiel mit meinen Kindern oder das Gespräch mit einer Freundin, bin ich achtsam und zugewandt. Ich kann sie bewusster erfahren. Auf einmal habe ich wieder das Gefühl, Herrin meiner Lebenszeit zu sein, im Alltag wie in der Freizeit. Und das macht mich ungemein zufrieden. Ich bin ausgeglichener, kann mich wieder selbst spüren. Ich bin im Einklang mit mir selbst. Das ist das pure Glück.
Es hat lange gedauert, dorthin zu kommen, denn dieser Versuch ähnelt dem Vorhaben, in einem reißenden Strom gemütlich auf einer Sandbank Platz zu nehmen. Schließlich müssen wir eigentlich alle ständig schneller werden, spontaner, effizienter. Wir müssen täglich neue Geschwindigkeitsrekorde brechen, schneller sprechen, reagieren und überall gleichzeitig zugegen sein. Damit müssen wir nicht nur die anderen, sondern vor allem uns selbst täglich neu übertrumpfen. Wer das Gegenteil erreichen will, erntet allenfalls mitleidige Blicke. Er wirkt rückwärtsgewandt und wird als hoffnungsloser Romantiker bezeichnet. Wer langsam sein will, gilt als nicht mehr kompatibel. Es heißt, er trete auf der Stelle, er sei in seiner Entwicklung stehengeblieben und womöglich faul.
Viele sagen daher, Verlangsamung oder Entschleunigung, wie es im Fachjargon genannt wird, sei ja schön und gut, es sei auch bitter nötig, doch leider unmöglich. Wer ganz normal am täglichen Leben teilnehme, wer hier in dieser europäischen Welt lebe, müsse schnell sein. Ein Einzelner könne dagegen gar nichts ausrichten. Er kann sich durchaus zurückziehen, sich ausruhen und kurzzeitig ein wenig langsamer sein. Das bezeichnet man allgemein als
sabbatical
, eine Art Freisemester, oder auch |13| einfach als Urlaub. Aber sobald man in den Alltag zurückkehrt, gleichgültig ob ins Berufsleben, ob mit oder ohne Familie, muss man wieder schnell, wach und geistesgegenwärtig sein. Langsamkeit könne sich heutzutage niemand mehr leisten.
Ich habe es trotzdem versucht, habe mich den Schnelligkeitserwartungen meiner Umgebung entgegengestemmt. Die Erfahrungen, die ich dabei gewonnen habe, waren ausgesprochen interessant. So sind die Erwartungen selbstredend unterschiedlich, je nachdem ob man in der Stadt oder auf dem Land lebt, ja auch, in welcher Region und welchem Land man jeweils zu Hause ist. Das Tempo in New York oder Paris ist ein anderes als in Berlin, das Leben in Rom schneller als in der Toskana. Ausschlaggebend ist das spezifische Zeitgefühl des Einzelnen und seines Landes, die sogenannte Ereigniszeit. Was das angeht, empfinden wir nicht nur individuell verschieden, sondern sind geprägt von Gesellschaftsform und nächster Umgebung. Doch auch diesen sind wir nicht bedingungslos ausgeliefert. Jeder kann über seine Zeit bestimmen. Er muss die Erwartungen, die an ihn gestellt werden, durchschauen und ein entsprechend gesundes Zeitmaß für sich entwickeln.
Während meines Selbstversuches habe ich mich nicht isoliert, im
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