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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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Mrs. Sokolow betrachtete mich jedoch von Anfang an als ein absonderliches und bedrohliches Haustier, und sie drängte ihren Mann, mich so rasch wie möglich zu entfernen. Zum Glück war mein Wohltäter gewohnt, seinen Willen durchzusetzen, und so sagte er ihr unmißverständlich, daß ich bleiben würde, wo ich sei, und daß alles Bitten und Drängen daran nichts ändern könne.
    Einige Monate nach der Hochzeit erzählte er mir, seine Frau werde ihm bald trotz seines hohen Alters ein Kind gebären, so wie seinerzeit die Sara dem Abraham.
    »Das ahnte ich natürlich nicht, als ich dich Ismael nannte«, sagte er. »Aber sei ganz beruhigt, ich werde nicht zulassen, daß sie dich aus dem Haus jagt, wie Sara deinen Namensvetter aus dem Haus Abrahams gejagt hat, als ihr Sohn geboren wurde.« Lächelnd fügte er hinzu, wenn es ein Junge sei, werde er ihn trotzdem Isaak nennen. Es war dann freilich ein Mädchen, das den Namen Rachel erhielt.
    5
    An dieser Stelle schloß Ismael die Augen und machte eine lange Pause. Ich dachte schon, er sei vielleicht eingeschlafen, als er endlich fortfuhr.
    »Ob es nun weise oder töricht war, mein Wohltäter beschloß, daß ich der Lehrer des Mädchens sein sollte, und ich freute mich, ihm diesen Gefallen tun zu können. Auf dem Arm ihres Vaters sitzend, verbrachte Rachel fast genausoviel Zeit mit mir wie mit ihrer Mutter - was mein Ansehen bei dieser Person natürlich nicht gerade steigerte. Weil ich in einer direkteren Sprache als der menschlichen zu dem Kind sprach, konnte ich es beruhigen oder zum Lachen bringen, wenn anderen das nicht gelang, und allmählich entwickelte sich eine enge Beziehung zwischen uns, die man mit der Beziehung zwischen eineiigen Zwillingen vergleichen könnte - nur daß ich Bruder, Haustier, Lehrer und Kindermädchen in einem war.
    Mrs. Sokolow sehnte den Tag herbei, an dem Rachel eingeschult werden würde, denn dann, so glaubte sie, würden neue Interessen sie mir entfremden. Als das nicht der Fall war, setzte sie erneut alle Hebel in Bewegung, um mich zu entfernen. So behauptete sie, der Umgang mit mir beeinträchtige die Sozialisierung des Kindes. Dabei entwickelte sich das Mädchen völlig normal, obwohl es in der Grundschule ganze drei Klassen und in der High-School eine Klasse übersprang. Als sie an der Universität ihr Studium in Biologie abschloß, war sie noch keine zwanzig Jahre alt. 1985 starb mein Wohltäter und Rachel wurde meine Beschützerin. In dem Pavillon konnte ich nicht bleiben, deshalb bewerkstelligte Rachel mit Hilfe von Geldern, die ihr Vater testamentarisch für diesen Zweck zur Verfügung gestellt hatte, meinen Umzug in ein anderes Heim, das zuvor für mich hergerichtet worden war.«
    Wieder verfiel Ismael einige Minuten in Schweigen. Dann fuhr er fort: »In den folgenden Jahren klappte nichts wie geplant
    oder erhofft. Ich stellte fest, daß ich mit meinem zurückgezogenen Dasein nicht mehr zufrieden war. In hatte mein ganzes bisheriges Leben in Abgeschiedenheit verbracht, deshalb wollte ich mich jetzt auf irgendeine Weise mitten in das kulturelle Geschehen stürzen, und ich strapazierte die Geduld meiner neuen Beschützerin durch immer verwickeltere Pläne, wie das zu bewerkstelligen sei. Zur gleichen Zeit ging Mrs. Sokolow erneut gegen mich vor. Sie überredete ein Gericht, das mir für meinen Lebensunterhalt zugeteilte Geld zu halbieren.
    Erst 1991 klärte sich meine Lage. In diesem Jahr erkannte ich endlich meine wahre, bislang unerfüllte Berufung zum Lehrer - und ich fand endlich einen Weg, wie ich in dieser Stadt unter erträglichen Bedingungen leben konnte.«
    Er gab mir durch ein Nicken zu verstehen, daß dies das Ende seiner Geschichte sei - oder zumindest dessen, was er mir erzählen wollte.
    6
    Zuviel sagen zu wollen macht manchmal genauso sprachlos wie wenn man wenig zu sagen hat. Mir fiel auf diese Geschichte keine irgendwie angemessene Antwort ein. Schließlich stellte ich eine Frage, die nicht mehr und nicht weniger geistlos war als die vielen anderen Fragen, die mir einfielen:
    »Und hast du viele Schüler?«
    »Ich hatte vier und bin mit allen gescheitert.«
    »Ach. Warum?«
    Er schloß die Augen, um einen Augenblick nachzudenken. »Ich scheiterte, weil ich die Schwierigkeit dessen, was ich lehren wollte, unterschätzt hatte - und weil ich das Denken meiner Schüler nicht gut genug kannte.«
    »Aha«, sagte ich. »Und was unterrichtest du?«
    Ismael nahm einen neuen Zweig von einem Haufen auf seiner rechten Seite,

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