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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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Realist; Amerika würde bald in den Krieg eintreten, und durch die Lande ziehende Shows wie seine mußten die Kriegszeit entweder im Winterquartier verbringen oder sich auflösen.
    Mr. Sokolow gab mir einige Tage Zeit, mich an die neue Umgebung zu gewöhnen, dann kehrte er zurück, um mich näher kennenzulernen. Der Wärter mußte ihm zeigen, wie alles gemacht wurde, vom Mischen des Futters bis zum Ausmisten des Käfigs. Er fragte ihn auch, ob er mich für gefährlich halte. Der Wärter sagte, ich sei wie eine schwere Maschine - gefährlich nicht aufgrund meiner Veranlagung, sondern aufgrund meiner schieren Größe und meiner Kraft.
    Nach ungefähr einer Stunde schickte Mr. Sokolow ihn weg, und wir starrten einander längere Zeit stumm an, wie wir es bereits zweimal getan hatten. Schließlich begann er zögernd, gleichsam als ob er eine große innere Barriere überwinden müsse, zu mir zu sprechen, nicht in der scherzhaften Art der Besucher der Menagerie, sondern wie man zum Wind oder zu den Wellen spricht, die sich tosend am Strand brechen, und wie man etwas sagt, das gesagt werden muß, aber von niemandem gehört werden darf. Er schüttete mir gegenüber seine Sorgen und Selbstvorwürfe aus, und allmählich vergaß er die Zurückhaltung, die er sich auferlegt hatte. Eine Stunde war vergangen, und er stand an meinen Käfig gelehnt und hatte eine Hand um einen Gitterstab geschlungen. Gedankenverloren sah er zu Boden, und ich benutzte die Gelegenheit, ihm mein Beileid zu bekunden, indem ich die Hand ausstreckte und sanft über die Knöchel seiner Hand strich. Erschrocken fuhr er zurück, aber ein fragender Blick in meine Augen bestätigte ihm, daß meine Geste völlig unschuldig gewesen war.
    Nach dieser Erfahrung begann er zu vermuten, ich könnte wirkliche Intelligenz besitzen, und einige einfache Tests überzeugten ihn davon. Der Beweis, daß ich seine Worte verstand, führte ihn wie später andere Menschen, die mit Primaten arbeiteten, zu der Schlußfolgerung, ich müsse auch in der Lage sein, selbst Worte hervorzubringen. Kurz gesagt, er beschloß, mir das Sprechen beizubringen. Ich will die schmerzhafte und demütigende Erfahrung der folgenden Monate übergehen. Wir wußten beide nicht, daß die Schwierigkeiten unüberwindbar waren, weil ich die entsprechenden Laute nicht bilden konnte. Da wir es nicht wußten, arbeiteten wir beide in der Hoffnung, wenn wir nur auf unseren Anstrengungen beharrten, würde der Durchbruch eines Tages wunderbarerweise erfolgen. Aber dann kam der Tag, an dem ich nicht weiter konnte, und in meiner Qual, ihm das nicht sagen zu können, dachte ich es für ihn mit der ganzen geistigen Kraft, die ich besaß. Er war fassungslos - ebenso wie ich, als ich merkte, daß er meinen stummen Schrei gehört hatte.
    Als erst einmal die volle Kommunikation zwischen uns hergestellt war, machten wir rasche Fortschritte. Ich will dich nicht mit den einzelnen Stadien dieser Entwicklung belästigen, zumal man sie sich, denke ich, leicht ausmalen kann. In den folgenden zehn Jahren lehrte er mich alles, was er über die Welt, das Universum und die menschliche Geschichte wußte, und wenn meine Fragen über sein Wissen hinausgingen, suchten wir gemeinsam nach Antworten. Und als meine Studien mich schließlich über seine Interessen hinaustrugen, wurde er mein williger Gehilfe, indem er mir Bücher und Informationen von Orten beschaffte, die natürlich außerhalb meiner Reichweite lagen.
    Da meine Erziehung die ganze Aufmerksamkeit meines Wohltäters beanspruchte, wurde er von seinen quälenden Gewissensbissen abgelenkt, und er erholte sich allmählich von seiner Schwermut. Anfang der sechziger Jahre war ich zu einer Art Hausgast geworden, um den sich der Gastgeber kaum noch zu kümmern brauchte, und Mr. Sokolow begann wieder in der Gesellschaft zu verkehren. Es überrascht nicht, daß er sich bald in den Händen einer jungen Frau von vierzig Jahren fand, die keinen Grund sah, warum er nicht einen brauchbaren Ehemann abgeben sollte. Er selbst war einer Ehe keineswegs abgeneigt, er beging vor der Eheschließung jedoch einen schrecklichen Fehler: Er beschloß, unsere besondere Beziehung vor seiner Frau geheim zu halten. Das schien damals keine ungewöhnliche Entscheidung, und ich war in solchen Dingen nicht erfahren genug, um die Folgen vorauszusehen.
    Ich zog in den Pavillon zurück, sobald dieser so hergerichtet worden war, daß er den Gewohnheiten der Zivilisation, die ich mir angeeignet hatte, entsprach.

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