Ist das Kafka?: 99 Fundstücke (German Edition)
nach rechter Feinschmecker-Art, recht abwechslungsreich zu machen.
Liebste Eltern, nur eine Richtigstellung: meine Sehnsucht nach Wasser (wie es bei uns immer in grossen Gläsern nach dem Bier auf den Tisch kommt!) und nach Obst ist nicht kleiner als nach Bier, aber vorläufig gehts nur langsam.
Dora Diamant an Julie und Hermann Kafka, 26. Mai 1924. Ergänzung von Kafkas Hand.
Und dann »ein gutes Glas Bier« zusammentrinken, wie Ihr schreibt, woraus ich sehe, dass der Vater vom Heurigen nicht viel hält, worin ich ihm hinsichtlich des Bieres auch zustimme. Übrigens sind wir, wie ich mich jetzt während der Hitzen öfters erinnere, schon einmal regelmässig gemeinsame Biertrinker gewesen, vor vielen Jahren, wenn der Vater auf die Civilschwimmschule mich mitnahm.
Brief an Julie und Hermann Kafka, 2. Juni 1924
Den eigentlichen Grund dafür, warum Kafka in den letzten Wochen seines Lebens zum »leidenschaftlichen Trinker« wurde, erfuhren seine Eltern vorläufig nur in Andeutungen: Der an Kehlkopftuberkulose erkrankte Kafka konnte nur noch unter Schmerzen winzige Schlucke tun, er litt daher fortwährend Durst. Das letzte Mal über Bier schrieb Kafka am Tag vor seinem Tod (der vollständige Brief siehe Fundstück 97).
In seiner Biografie über Kafka berichtet Max Brod ausführlicher von dessen Erinnerungen an die ›Civilschwimmschule‹, ein öffentliches Bad an der Moldau. Gegenüber Dora Diamant soll Kafka in den Wochen vor seinem Tod geäußert haben: »Als kleiner Junge, als ich noch nicht schwimmen konnte, ging ich manchmal mit dem Vater, der auch nicht schwimmen kann, in die Nichtschwimmerabteilung. Dann saßen wir nackt beim Buffet, jeder mit einer Wurst und einem halben Liter Bier zusammen. Gewöhnlich brachte der Vater die Wurst mit, weil sie auf der Schwimmschule zu teuer war. – Du mußt Dir das richtig vorstellen, der ungeheure Mann mit dem kleinen ängstlichen Knochenbündel an der Hand, wie wir uns zum Beispiel in der kleinen Kabine im Dunkel auskleideten, wie er mich dann hinauszog, weil ich mich schämte, wie er mir dann sein angebliches Schwimmen beibringen wollte und so weiter. Aber das Bier dann!«
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Kafkas Lieblingslied
Nun leb wohl, du kleine Gasse
Nun leb wohl, du kleine Gasse,
nun ade, du stilles Dach!
Vater, Mutter, sah’n mir traurig
und die Liebste sah mir nach.
Hier in weiter, weiter Ferne,
wie’s mich nach der Heimat zieht!
Lustig singen die Gesellen,
doch es ist ein falsches Lied.
Andre Städtchen kommen freilich,
andere Mädchen zu Gesicht;
ach, wohl sind es andere Mädchen,
doch die eine ist es nicht.
Andre Städtchen, andere Mädchen,
ich da mitten drin so stumm!
Andre Mädchen, andere Städtchen,
o wie gerne kehrt ich um.
Der Text dieses Liedes stammt von Albert Graf von Schlippenbach (1833), die Melodie von Friedrich Silcher (1853). Der letzte Vers jeder Strophe wird jeweils wiederholt.
Aus Jungborn im Harz, wo sich Kafka in ›Rudolf Just’s Kuranstalt‹ aufhielt, schrieb er am 22. Juli 1912 an Max Brod:
Kennst Du Max das Lied »Nun leb wohl …« Wir haben es heute früh gesungen und ich habe es abgeschrieben. Die Abschrift heb mir ganz besonders gut auf! Das ist eine Reinheit und wie einfach es ist; jede Strophe besteht aus einem Ausruf und einem Kopfneigen.
Kafkas Abschrift hat sich auf einem losen Blatt erhalten; unter dem Text des Liedes notierte er: »Das hätte ein Graf Schlippenbach machen sollen?« – Einige Monate später, am 17./18. November 1912, schrieb er an Felice Bauer:
So reisse ich aus meinem diesjährigen Reisetagebuch ein Blatt nach dem andern heraus und bin unverschämt genug, es Dir zu schicken. Suche es aber wieder dadurch auszugleichen, dass ich Dir ein Blatt, das gerade aus dem Heft gefallen ist mitschicke, mit einem Lied, das man im diesjährigen Sanatorium öfters am Morgen im Chor gesungen hat, in das ich mich verliebt und das ich abgeschrieben habe. Es ist ja sehr bekannt und Du kennst es wohl auch, überlies es doch einmal wieder. Und schicke mir das Blatt jedenfalls wieder zurück, ich kann es nicht entbehren. Wie das Gedicht trotz vollständiger Ergriffenheit ganz regelmässig gebaut ist, jede Strophe besteht aus einem Ausruf und dann einer Neigung des Kopfes. Und dass die Trauer des Gedichtes wahrhaftig ist, das kann ich beschwören. Wenn ich nur die Melodie des Liedes behalten könnte, aber ich habe gar kein musikalisches Gedächtnis.
11
Kafka spuckt vom Balkon
Während seiner Zeit als Fellow der American Academy in Berlin
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