Ist Schon in Ordnung
mehrere Widmungen über der einen Widmung an mich. In einer heißt es: Für Arvid von Minna, Arthur und den Knaben. Die hatte ihm gefallen, und wir haben darüber phantasiert, wer diese Leute wohl gewesen sind. Aber es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren, auch wenn Ingstad schreibt wie kaum ein anderer. Draußen ist es dunkel, ich höre Olav im Nebenzimmer schnarchen, und meine Mutter redet im Schlaf. Das treibt mich in die Küche. Dort ist es ebenfalls dunkel. Ich zünde ein paar Kerzen an und klappe den Wärmespeicherherd auf, stelle den Wasserkessel auf die Platte und blättere in dem Buch, bis das Wasser kocht. Dann setze ich mich an den Tisch, rauche und trinke Kaffee und betrachte den kommenden Tag. In allen Zimmern ist Leben, es riecht anders, ich höre die Kleine im Erdgeschoss wimmern. Bald wacht sie auf und schreit. Im Schein der Kerze hole ich das Foto von Marianne heraus und schaue es mir erneut an. Das Gesicht ist mir jetzt vertraut.Sie ist auf dem Bild erst achtzehn, und es ist Sommer, und ich denke, wenn ich jemals etwas Richtiges schreiben sollte, werde ich mit diesem Bild beginnen.
Es ist derselbe Pfarrer. Ich sitze in der ersten Reihe und höre ihn reden. Diesmal waren wir vorbereitet und haben ihm so wenig wie möglich erzählt. Er erkannte uns wieder und war ein wenig verdattert, aber ich muss sagen, er hat das Beste daraus gemacht. Er ist ein Profi. Meine Mutter sieht mich an, zwinkert mir zu und lächelt matt. Ich lächle zurück. Alles ist so komisch, dass wir nicht wissen, wie wir uns benehmen sollen. Sie sitzt neben Olav. Es fällt mir schwer, ihn jetzt nicht zu mögen. Dass er heute kommen würde, hätte ich nicht gedacht. Neben mir sitzt Kari und wiegt die Kleine, und in der Bankreihe hinter uns sitzt der alte Abrahamsen in seinem Anzug, den er zurückbekommen hat, und dann ist da Arvids ganze Familie und Roberto, und keiner von uns interessiert sich auch nur im Geringsten für das, was der Pfarrer sagt.
Zwischen den Grabsteinen auf dem Friedhof ist alles weiß, und auch die Steine sind weiß bedeckt, nur der Haufen frischer, dampfender Erde um das neue Grab stört die Idylle. Wir sind eine kleine Gruppe auf dem Weg dorthin. Der Wagen knirscht im Schnee, und überall stehen erloschene Kerzen und Fackeln von Weihnachten. Es wird milder werden, das spüre ich in der Luft, der Schnee ist pappig, und wäre ich ein paar Jahre jünger, wäre die Versuchung allzu groß. Wir gehen um einen prunkvollen Gedenkstein herum, dann sind wir da. Wir stellen uns im Kreis auf, und der Pfarrer singt allein Ich bete an die Macht der Liebe . Wir hieven den Sarg auf die Gurte, und der Kirchendiener dreht die Kurbel, bis der Sarg halb im Grab neben Egils Sarg hängt.Diesmal gibt es mehr Blumen als letztes Mal, es ist das reinste Fest, ich finde das plötzlich ungerecht und fange an zu weinen. Alle drehen sich um, aber ich kann nicht aufhören. Der Pfarrer sieht mich an und lächelt zufrieden, ich bin auf dem rechten Weg, er hat es gewusst, er hat bestimmt für mich zu Gott gebetet. Meine Mutter kommt zu mir herüber und legt mir den Arm um die Schulter, und Arvid sieht mir direkt in die Augen und grinst. Ihn werde ich mir später vorknöpfen. Ich schlucke entschieden und lächle meine Mutter an, aber dadurch wird es nur schlimmer. Ich habe Krämpfe in der Brust, schluchze laut. Es ist furchtbar, ich verberge mein Gesicht in den Händen, damit ich Arvid nicht sehen muss, damit ich niemanden sehen muss. Das hätte Martin Eden nie getan, ich weiß, aber verdammt, ich bin erst achtzehn. Ich habe noch viel Zeit.
Über den Autor
Per Petterson, 1952 in Oslo geboren, arbeitete als Buchhändler und Übersetzer, bevor er sich als Schriftsteller etablierte. Für seinen Roman Pferde stehlen (2006) wurde er mit dem Independent Foreign Fiction Prize ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen außerdem die Romane Sehnsucht nach Sibirien (1999), Im Kielwasser (2007), Ich verfluche den Fluss der Zeit (2009), für das Petterson den bedeutendsten norwegischen Literaturpreis, den Brage-Preis, den Norwegischen Kritikerpreis und den Preis des Nordischen Rats erhielt, sowie Ist schon in Ordnung (2011).
Daten, Fakten, Jahreszahlen
1952 geboren in Oslo
Nach seiner Ausbildung zum Bibliothekar Tätigkeit als Buchhändler, Übersetzer und Autor.
Für seinen Roman Det er greit for mig erhielt Petterson 1992 den Spraklig samlings litteraturpris.
Sein Roman Sehnsucht nach Sibirien wurde 1997 für den Nordic Council’s
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