Die Haarteppichknüpfer - Roman
Die Haarteppichknüpfer
Knoten um Knoten, tagein, tagaus, ein Leben lang, immer die gleichen Handbewegungen, immer die gleichen Knoten in das feine Haar schlingend, so fein und winzig, dass die Finger zittrig wurden mit der Zeit und die Augen schwach von der Anstrengung des Sehens – und die Fortschritte waren kaum zu merken; wenn er gut vorankam, entstand in einem Tag ein neues Stück seines Teppichs, das vielleicht so groß war wie sein Fingernagel. So hockte er an dem knarrenden Knüpfrahmen, an dem schon sein Vater gesessen war und vor ihm dessen Vater, in der gleichen gebeugten Haltung, die alte, halbblinde Vergrößerungslinse vor den Augen, die Arme auf das abgewetzte Brustbrett gestützt und nur mit den Fingerspitzen die Knotennadel führend. So knüpfte er Knoten um Knoten in der seit Generationen überlieferten Weise, bis er in einen Trancezustand geriet, in dem ihm wohl war; sein Rücken hörte auf zu schmerzen, und er spürte das Alter nicht mehr, das ihm in den Knochen saß. Er lauschte auf die vielfältigen Geräusche des Hauses, das der Großvater seines Urgroßvaters erbaut hatte – den Wind, der ewig gleich über das Dach strich und sich in offenen Fenstern fing, das Klappern von Geschirr und die Gespräche seiner Frauen und Töchter unten in der Küche. Jedes Geräusch war ihm vertraut. Er hörte die Stimme der Weisen Frau heraus, die seit einigen Tagen im Haus lebte, weil Garliad, seine Nebenfrau, ihre Niederkunft erwartete. Er hörte die halbstumme Türglocke scheppern, dann ging die Haustür, und Aufregung kam in das Gemurmel der Gespräche. Das war wahrscheinlich die Händlerin, die heute kommen sollte mit Lebensmitteln, Stoffen und anderen Dingen.
Dann knarzten schwerfällige Schritte die Treppe zum Knüpfzimmer empor. Das musste eine der Frauen sein, die ihm das Mittagessen brachte. Unten würden sie jetzt die Händlerin an den Tisch einladen, um den neuesten Klatsch zu erfahren und sich irgendwelchen Tand aufschwatzen zu lassen. Er seufzte, zog den Knoten fest, an dem er gerade war, setzte die Vergrößerungslinse ab und drehte sich um.
Es war Garliad, die da stand mit ihrem enormen Bauch und einem dampfenden Teller in der Hand und wartete, bis er ihr mit einer ungeduldigen Handbewegung erlaubte, näher zu treten.
»Was fällt den anderen Frauen ein, dich arbeiten zu lassen in deinem Zustand?«, knurrte er. »Willst du meine Tochter auf der Treppe gebären?«
»Ich fühle mich heute sehr gut, Ostvan«, erwiderte Garliad.
»Wo ist mein Sohn?«
Sie zögerte. »Ich weiß es nicht.«
»Dann kann ich es mir schon denken!«, schnaubte Ostvan. »In der Stadt! In dieser Schule! Bücher lesen, bis ihm die Augen wehtun, und sich Flausen in den Kopf setzen lassen!«
»Er hat versucht, die Heizung zu reparieren, und ging dann fort, um irgendein Teil zu besorgen, wie er sagte.«
Ostvan stemmte sich von seinem Schemel hoch und nahm ihr den Teller aus den Händen. »Ich verfluche den Tag, an dem ich zuließ, dass er in diese Schule in der Stadt geht. Hat Gott es bis dahin nicht gut mit mir gemeint? Hat er mir nicht fünf Töchter geschenkt und dann erst einen Sohn, sodass ich kein Kind töten musste? Und haben meine Töchter und Frauen nicht Haare in allen Farben, sodass ich überhaupt nicht färben muss und einen Teppich knüpfen kann, der einst des Kaisers würdig sein wird? Warum will es mir nicht gelingen, aus meinem Sohn einen guten Teppichknüpfer zu machen, damit ich einmal meinen Platz finde neben Gott und ihm helfen darf, am großen Teppich des Lebens zu knüpfen?«
»Du haderst mit deinem Schicksal, Ostvan.«
»Soll man nicht hadern mit so einem Sohn? Ich weiß schon, warum nicht seine Mutter mir das Essen bringt.«
»Ich soll dich um Geld bitten für die Händlerin«, sagte Garliad.
»Geld! Immer nur Geld!« Ostvan stellte den Teller auf das Fensterbrett und schlurfte zu einer stahlbeschlagenen Truhe, die geschmückt war mit einer Fotografie des Teppichs, den sein Vater geknüpft hatte. Darin lag das Geld, das vom Verkauf des Teppichs noch übrig war, verpackt in einzelne Schachteln, auf denen Jahreszahlen standen. Er nahm eine Münze heraus. »Nimm. Aber denk daran, dass das hier noch den Rest unseres Lebens reichen muss.«
»Ja, Ostvan.«
»Und wenn Abron zurückkommt, schickt ihn sofort zu mir.«
»Ja, Ostvan.« Sie ging.
Was war das nur für ein Leben, nichts als Sorgen und Ärger! Ostvan zog einen Stuhl ans Fenster und ließ sich darauf nieder, um zu essen. Sein Blick
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