Ist Unsere Liebe Noch Zu Retten
Schatz, ich fürchte, wir sind in einer Krise gelandet. Was können wir tun, um sie anzuschauen, zu bewältigen und erneuert, gereift und glücklicher daraus hervorzugehen? Nein, das geschieht nicht. Stattdessen geschieht alles Mögliche andere. Wie schon gesagt, findet anfangs zumeist die Leugnung statt. Viele leugnende Paare betonen auffällig vehement, wie wunderbar es ihnen geht. Seltsamerweise landet man oft mit genau diesen Paaren immer wieder in einem Gespräch über die bedauerlichen Mängel der eigenen Partnerschaft.
Ich kenne ein solches Paar. Sie sprachen stets in den
höchsten Tönen über ihre Beziehung: toller Sex seit Jahren, wundervolles Einvernehmen, intellektueller Gleichklang, spannende Freunde. Ich kam mir mangelhaft vor, wenn ich mit ihnen zusammen war. Und wenn wir als zwei Paare zusammentrafen, gerieten im Vierergespräch regelmäßig die Probleme meiner Partnerschaft auf den Tisch. Nicht selten stritten mein Mann und ich uns anschließend. Ich bewunderte die beiden. So eine tolle Partnerschaft hätte ich auch gern zustande gebracht. Dann allerdings erfuhr ich durch einen dieser aberwitzigen Zufälle, durch die solche Sachen meistens auffliegen, dass der Freund gerade eine heiße außereheliche Liebesbeziehung beendet hatte. Er hatte auf einem Kongress eine Frau kennengelernt und dieser gesagt, sie sei die große Liebe seines Lebens, er wolle sich scheiden lassen und sie heiraten. Dann hatte er es mit einer roten Rose und den Worten abgebrochen: Noch einmal alles neu aufbauen, das trau ich mir nicht zu. Als ich den Freund wütend zur Rede stellte, was für ein verlogenes Theater er die ganze Zeit gespielt hatte, erläuterte er sein Verhalten wortgewaltig und psychologisch. Mit seiner Frau könne er leider nicht die Sexualität leben, zu der er fähig sei. Er nämlich könne eine Frau zu reiner Ekstase treiben, sie wäre jedoch zu so tiefer Hingabe nicht in der Lage. Deshalb hätte er sie auch nicht konfrontiert, deshalb hätte er ihr das Ganze verschwiegen. Aber er wolle bei ihr bleiben, sie verstünden sich wirklich gut. Und sexuelle Erfüllung finde er jetzt mit einer Frau, die auch keine feste Beziehung suche, sondern wie er Begegnungen von Zeit zu Zeit.
Als ich das befreundete Paar kurz darauf wieder traf, waren sie wie immer: ein perfektes Team.
Du sagst jetzt vielleicht: Ja, ist das nicht in Ordnung? Er akzeptiert ihre Unfähigkeit, sich in der Tiefe hinzugeben, liebt sie, wie sie ist, bleibt bei ihr, sorgt außerhalb der Beziehung dafür, dass auch er das leben kann, was er braucht. Ist das nicht ein brauchbares Modell? Bis dass der Tod sie scheidet?
NEIN !, antworte ich. Es geht gar nicht um ein passables Konzept. Es geht um seelische Gesundheit. Es geht überhaupt um Gesundheit. Liebe ist ja kein Firlefanz. Liebe ist kein Schnickschnack, den man zu einem guten Leben als i-Tüpfelchen, als hübsche Verzierung, als Freizeitverschönerung hinzunimmt. Liebe ist eine elementare Lebenskraft. Die stärkste überhaupt. Sie steht auf einer Stufe mit Geburt und Tod. Nichts bewegt, erschüttert, berührt, beglückt, erfüllt, kränkt und heilt uns wie die Liebe. Sie ist wunderbar wie die Geburt. Sie macht uns ohnmächtig wie der Tod. Sie ist ein Geschenk, und sie fordert alles von uns. Uns selbst, ganz und gar.
Es gibt Menschen, die das Lieben verlernt haben. Denen es ausgetrieben wurde. Die es sich selbst ausgetrieben haben. Das ist furchtbar. In unserer Gesellschaft ist paradoxerweise neben der großen Sehnsucht nach Liebe die Weigerung, selbst zu lieben, immer verbreiteter. Alle wollen geliebt werden, keiner will das Risiko des Liebens eingehen.
Heute Morgen hörte ich eine Filmkritik vom neuen James-Bond-Film. Der Kritiker war hingerissen. Er sagte: Wenn man später diesen James Bond sieht, wird man wissen, wie es Anfang des 21 . Jahrhunderts zuging. Die Menschen sind hart, misstrauisch, kalt und gierig.
Wir können nicht lieben, ohne weich und verletzlich zu werden. Wir können nicht lieben, ohne uns berühren zu lassen und ohne zu berühren. Das kann wehtun. Das kostet auch Tränen. Leider gibt es nicht wenige Menschen, die das Weinen im Laufe ihres Lebens verloren zu haben scheinen.
Julia Onken hat darüber in »Geliehenes Glück« geschrieben. Über Menschen, Männer vor allem, die nicht weinen. Die aber Partnerinnen haben, die erstaunlich viel weinen, seit sie in dieser Beziehung sind, auch erstaunlich für sich selbst. Menschen, Männer vor allem, die wenig fühlen, wenig
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